Deutschland hinter Florida
Einer Statistik des Mises-Institut zufolge würde Deutschland als “Bundesstaat” zu den ärmeren Regionen in den USA gehören. Ein Sieg für das freiheitliche US-Wirtschaftssystem? Oder ein Vergleich von Äpfeln und Birnen?Von Stephan Lorz, FrankfurtBereits im vergangenen Jahr hatte der amerikanische Ökonom Ryan McMaken für das Ludwig-von-Mises-Institut in Auburn, Alabama, mit einem Online-Beitrag eine heftige Debatte ausgelöst. Unter Bezugnahme auf diverse Statistiken behauptet er darin, dass das freiheitliche Wirtschaftssystem der USA den – aus seiner Sicht – eher sozialistischen Systemen Europas weit überlegen ist. In diesen Tagen aktualisierte er die Berechnungen und löste in den sozialen Medien erneut eine heftige Diskussion aus.Was hat er getan? Er nahm das verfügbare Medianeinkommen der Haushalte in den Ländern, justierte es bezüglich der Kaufkraft, und rechnete – soweit möglich – auch die in Europa höheren Sozialleistungen hinein. Wenig überraschend haben Luxemburger, Norweger, Schweizer und US-Amerikaner die höchsten Einkommen zur freien Verfügung.Da es aus seiner Sicht ungerecht ist, ein so großes und regional so unterschiedliches Land wie die USA mit Nationalstaaten zu vergleichen, die allenfalls an Bundesstaaten herankommen, verlagerte er die Statistik gleich auf diese Ebene. Ergebnis: Der Sozialstaat Schweden und das europäische “Powerhouse” Deutschland liegen gerade mal auf dem Niveau der “ärmeren” US-Staaten Florida oder Kentucky – von Italien, Spanien, Portugal und Griechenland ganz zu schweigen.Das Resultat ist auf den ersten Blick eine Bestätigung für alle jene Mises-Jünger, die in staatlichen Eingriffen in das Wirtschaftsleben eine Bedrohung für Fortschritt und Wohlstand sehen. Es geht in diesem Vergleich auch nicht um die exakte Rangfolge, wie McMaken unter Hinweis auf statistische Unschärfen einräumt, sondern um die grobe Einordnung der Ergebnisse.Natürlich würden viele Europäer jetzt einwenden, beklagt er, dass das verfügbare Einkommen kein Maßstab für die Lebensqualität sei. Allerdings, so hält er ihnen entgegen, seien die Einkommensdaten nun mal die objektivste Form des Vergleichs, weil andere Gewichtungen eher subjektiver Natur seien. Und andere Aspekte, die das Leben gerade in europäischen Sozialstaaten attraktiver machten, seien Ansichtssache.Viele Debattenbeiträge drehen sich denn auch um diese weichen Faktoren der sozialen Sicherheit, betonen den staatlich garantierten Versicherungsschutz, die (kosten-)freie Bildung inklusive des Studiums oder den ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, der es auch ärmeren Haushalten ermöglicht, mobil zu sein. Diese Leistungen müssten natürlich bezahlt werden und schmälerten über höhere Steuern und Abgaben das verfügbare Einkommen.Hinzu kommen zudem Annehmlichkeiten, welche weitgehend die Arbeitgeber finanzieren, wie der höhere Urlaubsanspruch von Europäern gegenüber Amerikanern, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die vergleichsweise geringe faktische Arbeitszeit. Das drückt auf den Bruttolohn.In einem OECD-Arbeitszeitvergleich liegen die US-Arbeitnehmer international an der Spitze, was die Belastung angeht. Das deckt sich mit anderen Studien, die zeigen, dass die Kaufkraft der US-Mittelschicht in den vergangenen Jahren kaum gewachsen ist und viele sich mit mehreren Jobs über Wasser halten müssen. “Unsere Reichen sind reicher, unsere Armen ärmer als eure in Europa”, heißt es in einer Kritik.Zweifel an McMakens Vergleich sind auch hinsichtlich der Einberechnung des Sozialstaats angebracht, zumal die Sozialbeiträge als “Steuern” gewertet und die Leistungsrückflüsse kaum den Medianbürgern richtig zugeordnet werden können etwa wegen der Sozialversicherungsgrenzen. Unter den Tisch gekehrt wird ferner das Äquivalenzprinzip von Beiträgen und Ansprüchen, das die Sozialkassen zu eigentumsähnlichen Gebilden der Versicherten macht.