CursivStaatsverständnis und Wirtschaftsmodell

Deutschland muss raus aus der mentalen Schockstarre

Das bislang erfolgreiche deutsche Wohlstandmodell funktioniert nicht mehr. Es braucht eine grundlegende Staatsreform und eine Neuordnung der ökonomischen Rahmenbedingungen.

Deutschland muss raus aus der mentalen Schockstarre

Deutschland muss raus
aus der mentalen Schockstarre

Das bislang erfolgreiche deutsche Wohlstandmodell funktioniert nicht mehr. Es braucht eine grundlegende Staatsreform.

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Deutschlands Wohlstand fußt bislang auf Grundlagen, die sich quasi von selbst zu einem Erfolgsmodell gefügt haben: Der Fall des Eisernen Vorhangs hat eine Friedensdividende ermöglicht, die komplett in den Sozialstaat geflossen ist. Billiges Gas aus Russland erlaubte eine Energiepolitik, die auch in schwierigen Zeiten die Schwerindustrie erhalten konnte. Und bei der Globalisierung hatte Deutschland als Handelsnation mit seinen Investitionsgütern einen großen Vorteil gegenüber anderen Staaten, profitierte damit etwa vom Aufschwung der Emerging Markets – und erlaubte den Unternehmen, hohe Löhne zu zahlen und trotzdem wettbewerbsfähig zu bleiben.

Das ist nun vorbei: Der Krieg Russlands in der Ukraine, der Stopp russischen Billig-Gases und die nun von einem US-Präsidenten Donald Trump noch beschleunigte Rückabwicklung der Globalisierung via (Straf-)Zölle bereiten der deutschen Wirtschaft großes Kopfzerbrechen. Zumal sie ohnehin unter Druck steht wegen hoher Kosten, fehlender Innovationskraft und verschleppter Investitionen, schlechter Infrastruktur und mangelnder Digitalisierung. Und plötzlich verlieren die Menschen auch ihr Vertrauen in den Staat, erleben die Folgen der Überbürokratisierung und zweifeln an der Handlungsfähigkeit der Verwaltung. Der über Jahre hingenommene „Allmählichkeitsschaden“ wird zum Großschaden.

De Maizière arbeitet an Staatsreform

Thomas de Maizière, Ex-Kanzleramtsminister und Ex-Verteidigungsminister, bastelt daher bereits an einer Staatsreform, die durch eine Verschlankung der föderalen Beziehungen, einer Entschlackung der Behörden und Neuordnung sowie Konsolidierung von Zuständigkeiten etwa beim Datenschutz das Verwaltungshandeln modernisiert. Doch wie er auf der Lupus-Alpha-Investmentkonferenz in Frankfurt darlegte, reicht das bei weitem nicht aus. Es braucht auch einen Mentalitätswandel der Menschen.

Er kritisiert daher die Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Ende der Ampel-Koalition, dass man die äußere nicht gegen die innere Sicherheit ausspielen dürfe. Das sei nicht ehrlich und ein falsches Signal, weil die Herausforderungen etwa bei den Verteidigungsanstrengungen so gewaltig seien, dass hier sehr wohl eine Neugewichtung geschehen müsse. Auch die Ausgaben für Infrastrukturinvestitionen könnten nicht allesamt durch Verschuldung gestemmt werden. Die Bevölkerung müsse sich klar werden, dass die Sicherung von Freiheit und Frieden, Wohlstand und sozialer Sicherheit mit Kosten oder Verzicht verbunden seien. Dass inzwischen populistische Parteien immer mehr Zulauf erhalten, ist für ihn auch ein Zeichen, dass sich viele Menschen diesem politischen Wandel schlicht verweigerten.

Katalysator Trump

Ex-VW-Konzernchef Herbert Diess und Jeffrey Rathke, Präsident des American-German Institute in Washington, sehen hier US-Präsident Trump quasi in der Rolle des Katalysators des Wandels. Die nächste Bundesregierung sei angesichts der bevorstehenden Reformaufgaben daher nicht zu beneiden. Zumal die Deutschen sich eher wenig reform- und realitätsbereit zeigten.