Die Luft ist raus
Das Ergebnis der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich ist eine eindeutige Schlappe für Präsident Emmanuel Macron – und für die Demokratie. Denn die einzige Mehrheit, die es gab, war die derjenigen, die den Urnen ferngeblieben sind. Mit gerade 47,4% ist die Wahlbeteiligung auf einen neuen Tiefststand gesunken. Einen klaren Wahlsieger gab es dagegen nicht. Zwar lag die Regierungsallianz Ensemble vor dem von dem Populisten Jean-Luc Mélenchon angeführten Linksbündnis Nupes, dem neben La France Insoumise, den Grünen und den Sozialisten auch die Kommunisten angehören. Allerdings ist ihr Vorsprung hauchdünn. Auch wenn das komplizierte Wahlsystem der Regierungsallianz in der zweiten Runde nächsten Sonntag zugutekommen dürfte, muss sie um die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung bangen. Dafür müsste sie sich 289 der 577 Sitze sichern. Laut jüngsten Prognosen kann sie auf 255 bis 295 Sitze hoffen, Nupes auf 150 bis 190.
Der Beginn einer zweiten Amtszeit mit frischem Schwung sieht anders aus. Die Luft ist raus. Zwar wird es keine Mehrheit gegen Macron geben, auch wenn die Abgeordneten des rechtspopulistischen RN ab und an das Linksbündnis unterstützen dürften. Doch angesichts der im Vergleich zu seiner ersten Amtszeit deutlich geringeren Abgeordnetenzahl dürfte es für Macron jetzt schwieriger werden, seine Vorhaben durchzusetzen. Statt weitere Reformen wie die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 65 Jahre relativ einfach durchbekommen zu können, wird er mehr Kompromisse eingehen müssen. Denn Linkspopulist Mélenchon ist wild entschlossen, der Regierung das Leben schwer zu machen.
Eine gute Nachricht für die Demokratie und Europa ist das nicht, denn der rhetorisch geschickte Politiker wirft dem Innenministerium vor, die Zahlen manipuliert zu haben. Damit schürt er das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber öffentlichen Institutionen und treibt so die Polarisierung der Gesellschaft weiter voran. Mit einer von ihm angeführten starken Links-Opposition sind Misstrauensanträge und die Einschaltung des Verfassungsrates am laufenden Band vorprogrammiert.
Damit steigt die Gefahr, dass die Opposition statt einer konstruktiven Suche nach Kompromissen lieber verbale Attacken medienwirksam inszeniert. Bereits im Vorfeld der Wahlen warfen sich Regierung und Linksbündnis gegenseitig haushaltspolitische Unverantwortlichkeit vor. Ihr wirtschaftspolitisches Programm könnte unterschiedlicher nicht sein. Denn Nupes plädiert für die Senkung des Rentenalters auf 60 Jahre und eine Erhöhung des Mindestlohns.