Die Sorge vor dem KI-Proletariat
Die Sorge vor dem KI-Proletariat
Künstliche Intelligenz wird die Arbeitsmärkte umwälzen und viele Jobs kosten – Das befeuert die Debatte über ein Grundeinkommen
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Noch ist nicht klar, wie viele Jobs durch KI wegfallen und neu entstehen – und ob der Standort Deutschland als Gewinner aus der Transformation hervorgeht. Klar ist aber, dass die Phase der Umstrukturierung heikel wird und wirtschaftspolitisch neue Strategien nötig sind. Denn ohne Vorbereitung drohen soziale Unruhen.
Einstellungsstopp, Entlassungen, Umstrukturierungen – und alles mit Verweis auf die aus Unternehmersicht segensreichen Wirkungen der künstlichen Intelligenz (KI), weil sie die Produktivität erhöht und das Zeug hat, Jobs komplett zu übernehmen. Wie einst die Automatisierung in der Industrie und der Einzug der Roboter, so die Befürchtung, würde die Integration von KI in die Arbeitsabläufe und Arbeitsmittel viele Berufe überflüssig machen, zumindest aber neu zuschneiden und ergänzen.
Die ersten „Anwendungsfälle“ gibt es bereits: Zum Jahresende verkündete der Zahlungsverkehrsanbieter Klarna, dass er einen Einstellungsstopp verhängt. Unternehmenschef Sebastian Siemiatkowski verweist auf KI-Tools, durch die man künftig weniger Mitarbeiter benötige. Die Firma werde schrumpfen, lässt er sich zitieren. KI stelle „eine große Bedrohung für viele Jobs“ in der Branche dar, resümiert er.
Bereits im Mai vergangenen Jahres hatte IBM wegen potenzieller Einsparungen durch KI einen Einstellungsstopp verhängt. Dann verkündete der Axel-Springer-Verlag, dass wohl 30% der Stellen in Boulevardmedien durch digitale KI-Tools wegfallen könnten. Und im August verlautete aus dem Hauptquartier der US-Tochter der Deutschen Telekom, dass 5.000 Jobs durch KI ersetzt würden, vorwiegend im Back Office.
Es ist nicht immer ganz klar, ob KI tatsächlich der Beweggrund für den Jobabbau ist oder nur vorgeschoben wird. Einig sind sich Ökonomen aber, dass die neuen Techniken für große strukturelle Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, innerhalb der Unternehmen und ganzer Branchen sorgen werden.
Buchhalter auf der roten Liste
In einer großen Umfrage unter weltweit 803 Unternehmen aus 27 Branchen, die für 11,3 Millionen Beschäftigte stehen, hat das World Economic Forum (WEF) zu ergründen gesucht, wohin die Reise jobtechnisch mit der KI geht. Ergebnis: In den kommenden vier Jahren könnten wegen Umstrukturierungen 83 Millionen Stellen abgebaut werden, aber zugleich würden 69 Millionen neue Jobs geschaffen, ein Teil davon sogar direkt wegen KI. Die größten Jobverluste sind in der Bankbranche, der Datenerfassung, der Buchhaltung und unter Sachbearbeitern zu vermuten.
Allerdings gilt es, die Auswirkungen ins Verhältnis zu setzen: Die Investmentbank HSBC legt Wert darauf, dass im Vergleich zu anderen Jobbedrohungen wie zu wenig Wachstum, zu hohe Teuerung, Lieferkettenprobleme und außenwirtschaftliche Krisen die KI wohl eher das kleinere Übel darstellt. „Die vierte industrielle Revolution wird viele Geschäftsbereiche verändern“, schreibt Barry O'Byrne, CEO Global Commercial Banking bei der HSBC, erfolgreiche Unternehmen dürften den menschlichen Fertigkeiten aber keine verminderte Rolle zuweisen. Neue Technologien müssten eingesetzt werden, damit „Teams besser performen und effizienter und kreativer agieren“.
Komparative Vorteile
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht in einer Studie davon aus, dass wohl insgesamt 14% aller Jobs stark durch Automatisierung gefährdet seien, doch würde die KI bisweilen die Arbeiten auch angenehmer und produktiver machen. Überdies führe die KI-Nutzung eher zur Umorganisation von Tätigkeiten als zu tatsächlichen Arbeitsplatzverlusten. Und schließlich gebe es noch genügend Jobs, bei denen die Menschen einen komparativen Vorteil hätten, wenn es sich etwa um Bereiche handele, die Empathie, soziale Interaktion oder bestimmte Arten der Entscheidungsfindung voraussetzten. Und die Menschen seien der KI auch überlegen, wenn es um wirkliche Innovationen und kreative Leistungen gehe, die über die reine Neuzusammenstellung von Existierendem hinausgingen.
Deutlich skeptischer äußert sich das Centrum für Europäische Politik (cep) in seiner Studie „Resisting or Rebooting the Rise of the Robots?". Die Forscher haben hierzu vorliegende Studien ausgewertet und richten ihr Augenmerk vor allem auf die unmittelbaren Jahre der Umstrukturierungen. Denn bis sich ein neues Gleichgewicht aus dem Wegfall der alten und dem Aufbau von neuen Stellen einpendelt, wird es eine ganze Zeit dauern, wie in den Umstrukturierungsphasen der anderen industriellen Revolutionen zuvor ebenso geschehen. In dieser kritischen Phase würden sich die sozialen Probleme hochschaukeln. Zumal man sich in vielen Ländern im Moment noch in Sicherheit wähnt: Die Erwerbstätigkeit ist sehr hoch, die Arbeitslosigkeit seit Jahren niedrig, und obendrein produziert die demografische Entwicklung eher einen Arbeitskräftemangel. Der Arbeitgebermarkt hat sich in einen Arbeitnehmermarkt gewandelt, wo Facharbeitermangel herrscht. Das böse Erwachen würde daher für große soziale Unrast sorgen.
CEP: 20 Millionen Jobs fallen weg
Das CEP geht davon aus, dass wegen des umfassenden KI-Einsatzes kurzfristig 20 Millionen Arbeitnehmer in der EU ihren Job verlieren würden. Während frühere Technologieschübe die Fähigkeiten von Beschäftigten ergänzten und damit ihre Produktivität erhöhten, gehen die CEP-Forscher davon aus, dass die generative KI diesmal „ganze Berufsbilder irreversibel vernichten“ würde. Soziale Unruhen seien die Folge, wenn angesichts der Entwicklungsgeschwindigkeit von KI nicht zügig Vorkehrungen getroffen würden.
„Erstmals“, so der Berliner CEP-Digitalexperte Anselm Küsters, „müssen auch gut ausgebildete Arbeitnehmer durch technologischen Fortschritt um ihre Arbeitsplätze fürchten“. Etwa jeder zehnte Job werde bis zum Endes dieses Jahrzehnts in der EU direkt betroffen sein. Das Spektrum reiche von Managern über Berater bis hin zu Juristen und Marketing-Spezialisten.
KI-Steuer als „Bezahlung“
Die Forscher fordern, dass sich die Politik auf diese Entwicklung einstellt und ihre sozialen Sicherungssysteme anpasst. Dabei müssten auch „alte Debatten über ein Grundeinkommen“ neu durchdacht werden. „Der produktive Mehrwert, den generative KI zweifelsohne erwirtschaften wird, sollte in Teilen so umgelenkt werden, dass er den Übergangsprozess gesellschaftspolitisch, aber auch individuell unterstützt und damit zur raschen Adoption der Technologie beiträgt.“ Gemeint ist: Ein Grundeinkommen soll den Menschen die Angst vor Arbeitslosigkeit und Wohlstandsverlust nehmen.
KI-Steuer für Grundeinkommen?
Das Problem ist die Finanzierung: Vorgeschlagen werden höhere Steuern auf Vermögen und/oder Kapitaleinkommen. Denn gerade Letzteres dürfte durch den Strukturwandel begünstigt werden, weil immer mehr Maschinen statt Menschen die Arbeit verrichten und für die Unternehmenserträge sorgen. Im Falle von KI käme auch eine weitere Finanzierungsquelle in Betracht: eine KI-Steuer. Denn ihr Wissen bezieht die KI im weitgehend kostenfreien Sammeln von Informationen, die Bürger im Netz hinterlassen. Für diese Dienstleistung erhalten die „Web-Bürger“ bislang keinerlei Vergütung. Aber wie immer müssten einen solchen Schritt möglichst viele große Länder gemeinsam tun, weil die Anwendung von KI dadurch verteuert und die Standortkosten erhöht werden. Und ob das ausreichen würde, das Grundeinkommen zu finanzieren, ist auch fraglich.
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