KOALITIONSPOKER

Die unmöglichen Grünen

Von Angela Wefers, Berlin Börsen-Zeitung, 10.10.2013 Wäre der Psychoanalytiker Sigmund Freud dabei gewesen, er hätte seine helle Freude gehabt. Die frisch gewählte Fraktionsspitze der Grünen im Bundestag aus Katrin Göring-Eckardt, Anton Hofreiter...

Die unmöglichen Grünen

Von Angela Wefers, BerlinWäre der Psychoanalytiker Sigmund Freud dabei gewesen, er hätte seine helle Freude gehabt. Die frisch gewählte Fraktionsspitze der Grünen im Bundestag aus Katrin Göring-Eckardt, Anton Hofreiter und der parlamentarischen Geschäftsführerin Britta Haßelmann benutzt in der Bundespressekonferenz versöhnliche Formulierungen. Die Delegation werde gut vorbereitet, offen und ohne “rote Linien” zu setzen in das heutige Treffen mit CDU und CSU gehen, versprachen sie einen Tag vor der Sondierung mit der Union für mögliche Koalitionsverhandlungen. Die Parteienvertreter kommen heute Nachmittag in der Parlamentarischen Gesellschaft zusammen.Tatsächlich vermittelte das grüne Führungstrio ein Bild geballter Unlust, sich an einer neuen Bundesregierung zu beteiligen. Haßelmann lieferte schon mit ihren Eingangsworten in freudscher Manier den unbewussten Beweis für die innere Haltung der Grünen: Sie breitete aus, wie sich die Fraktion auf ihre Rolle als Mini-Opposition vorbereitet, die ihr bei einer großen Koalition aus CDU/CSU und SPD zukommen würde. Mit 63 von 630 Abgeordneten haben die Grünen nur 10 % der Stimmen und noch einen Sitz weniger als die Fraktion der Linken. Beide Fraktionen zusammen würden nicht einmal das Quorum von 25 % im Bundestag erreichen, um wichtige Oppositionsrechte wie die Einberufung von Untersuchungsausschüssen und Enquetekommissionen auszuüben oder öffentliche und nicht öffentliche Anhörungen zu verlangen.Wer die Übermacht einer großen Koalition mit 80 % der Stimmen fürchtet, könnte diese allerdings ganz einfach zu Fall bringen: durch Regierungsbeteiligung. Auch eine schwarz-grüne Koalition käme rein rechnerisch auf eine satte Mehrheit von immerhin 59 %. Die Regierungsrolle würde auch eher zu der Ankündigung passen, die Grünen wollten politisch etwas bewegen. “Wir wollen nicht regieren um des Regierens willen, sondern um Werte durchzusetzen”, sagte Hofreiter. Was auch immer es durchzusetzen gilt, in der Regierung ist dies allemal aussichtsreicher als in der Opposition – selbst als kleiner Koalitionspartner. Partei der Inhalte und WerteIhnen gehe es “vor allem um Inhalte”, bekräftigten sowohl Göring-Eckardt als auch Hofreiter. Die Grünen seien die “Partei des Möglichen”. Klimaschutz und mehr erneuerbare Energien, eine freiheitliche und humanitäre Gesellschaft mit einer offenen Flüchtlings- und Migrationspolitik, die Verbindung von Ökonomie und Ökologie setzten Göring-Eckardt und Hofreiter ins Zentrum für die Sondierung. Die Flucht in allgemeine Formulierungen wirkt vielleicht staatstragend. Vor allem aber schützt sie vor der Notwendigkeit, sich politisch festzulegen. Konkrete Themen wie die Forderung eines gesetzlichen Mindestlohns, die grünen Forderungen nach Steuererhöhungen und ihr Ziel, die generierten Mittel in Innovationen und öffentliche Investitionen zu stecken, nahmen die beiden Fraktionschefs überhaupt erst auf Nachfrage in den Mund. Als hätte es die Forderungen nach einer Belastung der Vermögen im Wahlkampf nie gegeben. Ins Staunen versetzt den Beobachter, was ebenso wenig zur Sprache kam: die Stabilisierung des Euro und die anstehende Reform der europäischen Institutionen. Die Erwähnung der Wirtschaft und deren Rahmenbedingungen tauchte schließlich in erster Linie mit dem Begriff der “Leitplanke” auf. Ein Schelm, wer damit Einengung assoziiert.Die personelle Neuaufstellung an der Spitze der Fraktion nach der Niederlage bei der Bundestagswahl soll “an den Wurzeln festhalten und zu neuen Ufern aufbrechen”. Abgesehen von dem sprachlich schwierigen Bild von den “neuen Ufern” der Grünen war am Horizont nichts in Sicht. Vielmehr strahlte die neue Generation, die erste ohne Gründungsmitglieder, Abwehr und ein seltsames Selbstbewusstsein aus, als könne sie als Wahlsieger die Agenda setzen. Wer durch Protest am Establishment groß geworden ist, muss sich verändern, wenn er wirklich etwas verändern will. Er muss koalitionsfähig in mehrere Richtungen sein. Ohne Kurskorrektur bleiben die Grünen: die Partei des Unmöglichen. ——–Die Grünen treffen sich zwar zur Sondierung mit der Union, haben aber keine Lust zu regieren.——-