Die US-Wirtschaft ein Jahr vor der Wahl

Trotz starken Arbeitsmarkts bereiten unerfüllte Versprechen Trump Probleme

Die US-Wirtschaft ein Jahr vor der Wahl

Von Peter De Thier, WashingtonIn knapp einem Jahr werden die USA entweder ihren 46. Präsidenten wählen oder Donald J. Trump für weitere vier Jahre im Amt bestätigen. Viele Experten meinen, dass Trump schon deswegen schwer zu bezwingen sein wird, weil der Aufschwung am Arbeitsmarkt sich scheinbar unaufhaltsam fortsetzt und sich die Wirtschaft ungeachtet des schwächeren Wachstums während der beiden vergangenen Quartale weiterhin in robuster Verfassung befindet.Folgt man konsequent der Devise des demokratischen Wahlkampfstrategen James Carville, der Präsident Bill Clintons Wahlerfolge akkurat vorausgesagt hatte, dann müsste Trump der Sieg in der Tat schwer zu nehmen sein: “It’s the economy, stupid”, sagte Carville damals. Frei übersetzt: Alles hängt von der Wirtschaft ab, und wacht ein amtierender Präsident über eine gesunde Konjunktur, dann wird es ein Oppositionskandidat schwer haben, am Wahlabend zu reüssieren. Leere WorthülsenGleichwohl täuscht der robuste Arbeitsmarkt, der allein von Dienstleistern gestützt wird, über eine differenziertere ökonomische Realität hinweg. Sämtliche Versprechen Trumps, die sich auf die Wirtschaft beziehen, haben sich nämlich als leere Worthülsen erwiesen: So hatte er Wachstumsraten von 4 % angekündigt. Dabei legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal nur um annualisierte 2,0 % zu und schwächte sich von Juli bis September, als ein Plus von lediglich 1,9 % realisiert wurde, weiter ab.Unerfüllt bleibt auch das Versprechen schrumpfender Defizite, von denen es zu Beginn seiner Amtszeit hieß, dass es “leicht sein wird”, diese binnen weniger Jahre komplett zu eliminieren. Im kürzlich zu Ende gegangenen Fiskaljahr 2019 erreichte die Neuverschuldung 984 Mrd. Dollar, mehr als zu jedem Zeitpunkt seit 2012. Dabei bleiben die mittelfristigen Aussichten für die Staatsfinanzen düster, wobei Trump die daraus resultierenden Verdrängungseffekte und deren gesamtwirtschaftliche Folgen wohl seinem Nachfolger in die Schuhe schieben wird.So sehr Wachstumsraten und Defizite illustrieren, wie wenig Trump mit der Ausnahme gewisser Aspekte seiner Steuerreform tatsächlich erreicht hat, handelt es sich letzten Endes um akademische Statistiken, Zahlen also, mit denen sich vorwiegend Volkswirte befassen. Anders ist es aber um das wachsende Einkommens- und Wohlstandsgefälle bestellt. Einen Nerv hatte Trump ja 2016 bei desillusionierten demokratischen Wählern mit dem durchaus treffenden Hinweis getroffen, dass sich nach acht Jahren unter dem Demokraten Barack Obama ihre wirtschaftliche Lage keineswegs verbessert habe. Für die “vergessene Mittelklasse” werde er eintreten, der als Immobilienunternehmer früher auf der Baustelle selbst zugepackt hatte und die Anliegen der Arbeiter nachvollziehen kann. “Jobs, Jobs, Jobs” lautete der Schlachtruf. Sämtliche Arbeitsplätze, die als Folge von “desaströsen” Handelsabkommen wie Nafta und zu hohen Unternehmenssteuern in den USA in Niedriglohnländer verlegt wurden, würden zurückkehren, hieß es. Folgenschwerer HandelskriegTeilweise ist das als Folge der Steuerreform auch geschehen. Deutlich schwerer wiegen aber die Folgen des Handelskonflikts mit China. Diese haben globale Lieferketten durcheinandergewirbelt und zu Entlassungen, teilweise sogar Werksschließungen in der Stahl- und Autoindustrie sowie bei deren Zulieferern und angegliederten Branchen geführt.In einigen der betroffenen Staaten im sogenannten “Rostgürtel” des Mittleren Westens, auf die der Präsident kommenden November dringend angewiesen sein wird, ist die Arbeitslosenquote sogar gestiegen. Folglich ist auch das soziale Gefälle immer größer geworden, denn gleichzeitig sind unter den Privathaushalten Multimillionäre die größten Nutznießer der Steuerreform.Der Präsident kann twittern, so viel er will, und behaupten, dass jene Wirtschaftsdaten, die ihm nicht ins Konzept passen, “fake news” seien. Doch die nüchterne Realität einer konjunkturellen Abschwächung, eines tiefen sozialen Gefälles und eines Arbeitsmarkts, der allein wegen der Dienstleistungsbranche im Aufwind bleibt, die erkennen auch seine Wähler. Das könnte am 3. November 2020 für Trump zum größten Risiko werden.