LEITARTIKEL

Die Welt als Nullsummenspiel

Es gibt nicht wenige Beobachter des politischen Geschehens in Washington, die den Ursprung der Ambitionen von Donald Trump für das Amt des US-Präsidenten auf das Frühjahr 2011 datieren. Die White House Correspondents' Association hatte für den 30....

Die Welt als Nullsummenspiel

Es gibt nicht wenige Beobachter des politischen Geschehens in Washington, die den Ursprung der Ambitionen von Donald Trump für das Amt des US-Präsidenten auf das Frühjahr 2011 datieren. Die White House Correspondents’ Association hatte für den 30. April zum festlichen Abendessen mit US-Präsident Barack Obama geladen. Das White House Correspondents’ Dinner gehört seit 1920 zu den Pflichtterminen des politischen Establishments und zieht allerhand Prominenz an. Donald Trump, der heute als 45. US-Präsident vereidigt wird, kam der Einladung nach Washington deshalb gerne nach.Der Abend im Frühjahr 2011 verlief dann aber gar nicht nach dem Geschmack des New Yorker Immobilienunternehmers. Erst machte sich Obama über Trump lustig, nachdem zuvor die letzten der auch von Trump geschürten Zweifel an Geburtsort und Staatsbürgerschaft des US-Präsidenten ausgeräumt worden waren. Trump könne sich jetzt den wirklich wichtigen Fragen zuwenden, witzelte Obama. “Zum Beispiel, ob wir die Landung auf dem Mond nur vorgetäuscht haben.” Dann legte der Comedian Seth Meyers los und knöpfte sich die möglichen Konkurrenten Obamas für eine zweite Amtszeit vor. Er habe gehört, dass auch Trump als Republikaner fürs Weiße Haus kandidieren wolle, erklärte Meyers. “Ich hatte immer gedacht, er kandidiert als Witzfigur.”Der Saal tobte, Trump saß da wie versteinert. Doch ganz egal, ob diese Demütigung den Ausschlag dafür gab, vier Jahre später in das Rennen um das Weiße Haus einzusteigen, vielen Vertretern der damals versammelten Eliten ist das Lachen spätestens im November 2016 vergangen, als klar wurde, dass Trump die Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton für sich entschieden hatte. Auch die meisten seiner Auftritte im Wahlkampf waren gemessen an den bisher üblichen Standards für einen US-Präsidentschaftskandidaten nach Einschätzung des Establishments nur ein Witz. Aber es ist längst Schluss mit lustig, und wer immer noch auf die Einhaltung von Standards wartet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.Die Menschen, die Trump angeblich vertritt, pfeifen auf jeden Standard, solange sich endlich wieder jemand ihrer Belange annimmt oder wenigstens auf die schimpft, die an der Vernachlässigung ihrer Belange schuld sein sollen. Das ist das Mandat des Milliardärs, der deshalb auch mit der einfachen Begründung auf die Veröffentlichung seiner Steuerbescheide verzichten kann, dass er die Wahl doch gewonnen hat. Trump bricht aber nicht nur mit den meisten Konventionen. Der mächtigste Mann der Welt pfeift ab heute auch auf Verträge, solange mit ihnen kein guter “Deal” fixiert ist. Um einen besseren Deal zu erreichen, setzt er auf Unberechenbarkeit. Internationale Handelsabkommen stellt er deshalb ebenso in Frage wie die Grundsätze der G 7-Staaten über das freie Spiel der Kräfte auf den Währungsmärkten oder das nordatlantische Verteidigungsbündnis Nato. Unternehmen, Medien und politische Gegner treibt er derweil mit Kurznachrichten über die sozialen Medien vor sich her.Wer einen Währungs- und Handelskrieg vermeiden will, kann Washington ja einen besseren Deal vorschlagen. Wer etwa an den Rändern der Europäischen Union, über deren Niedergang Trump ganz locker palavert, nicht in den Machtbereich Moskaus abdriften will, kann schon einmal eine Zahl mit ein paar Nullen auf einen Zettel schreiben. Wer sich aus dem regelmäßig über das Land hereinbrechenden “Shitstorm” ins Trockene retten will, verspricht öffentlichkeitswirksam ein paar Arbeitsplätze in den USA.In der kurzen Frist sammelt Trump so durchaus Punkte. Das Spiel in der modernen Ökonomie der Aufmerksamkeit beherrscht der neue US-Präsident, der seit Jahren auskömmlich von seiner Marke lebt, ohnehin perfekt. Längerfristig droht Trump mit seinem Kurs aber die Institutionen zu schwächen, die die Grundlagen von Wohlstand und Wachstum ausmachen. Unberechenbarkeit stärkt in einem Spiel über eine Runde vielleicht die Verhandlungsposition und verbessert das Ergebnis eines “Deals”, schmälert über mehrere Runden aber die Entwicklungsmöglichkeiten, weil das Vertrauen zwischen den Akteuren verloren geht.Wer Ökonomie nur für ein Nullsummenspiel zwischen unterschiedlich gerissenen Dealmakern hält, wird sich mit diesem Einwand freilich nicht lange aufhalten. Mal sehen, welchen Comedian die Vereinigung der Korrespondenten im Weißen Haus in diesem Jahr zum White House Correspondents’ Dinner einlädt und wer unter den Gästen dann noch über Trump-Witze lachen kann.——–Von Stefan ParaviciniDer 45. US-Präsident wird heute vereidigt. Er pfeift nicht nur auf Konventionen, sondern gefährdet auch die Grundlagen für Wohlstand und Wachstum.——-