Die WTO mobilisiert für eine Reglobalisierung
Die WTO mobilisiert für eine Reglobalisierung
Global Trade Report 2024: Protektionistische Bestrebungen gerade für arme Länder schädlich – Ungleichheit bekämpfen
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Die Welthandelsorganisation (WTO) räumt ein, dass die Globalisierung auch gesellschaftliche Verlierer in den Industrieländern hervorgebracht hat. Doch die Entwicklung zurückzudrehen sei kontraproduktiv für alle Beteiligten. Ökonomen zeigen Wege auf, wie eine inklusivere Globalisierung geht. Doch müssen dazu die Nationen selbst mehr beitragen, statt sich abzuschotten.
Die WTO wehrt sich gegen Vorwürfe, die Globalisierung hätte zu viele Verlierer auch in den Industrieländern hervorgebracht, deren Jobs an günstigere Handelspartner verloren gegangen seien, was nun zu mehr Protektionismus führt. Das Gegenteil sei richtig, argumentiert sie im neuen Welthandelsbericht. In den vergangenen 30 Jahren hätte der Produktivitätsgewinn durch den verstärkten Handel den Menschen vielmehr mehr Wohlstand gebracht und die Armut in der Welt zurückgedrängt. Diese „Errungenschaften“ würden in der aktuellen Debatte „heruntergespielt oder schlicht übersehen“.
Der Anteil der in extremer Armut lebenden Menschen in Ländern mit mittleren und niedrigeren Einkommen sei zwischen 1995 und 2023 von 40% auf 11% gefallen. Selbst wenn man China herausrechne, wäre der Anteil noch von 36 auf unter 14% gesunken. Erst die Covid-Jahre hätten die positive Entwicklung gestoppt und kurzzeitig umgedreht. Denn die schwächsten Volkswirtschaften seien von der Infektionswelle am härtesten getroffen worden.
Wohlstand zugenommen
Insgesamt, führt die WTO an, habe die Senkung der Handelskosten (weniger Zölle, leichterer Marktzugang) in den Jahren seit 1995 zu einem Anstieg des globalen BIP um 6,8% bis 2022 geführt – in Ländern mit niedrigem Einkommen sogar um 33%. Das Pro-Kopf-Einkommen habe dort gar um 65% zugelegt.
Dass der Widerstand gegen die Globalisierung gerade in den reichen Ländern zugenommen habe, liegt nach Ansicht der WTO darin, dass sich „manche Bevölkerungsgruppen“ zurückgelassen fühlten, weshalb sie gegen die ausländische Konkurrenz aufbegehrten. „Gegenwärtig kommt der Handel nicht immer allen zugute“, räumt die WTO selber ein. Dies ist ihrer Ansicht nach aber „nicht nur auf die Handelspolitik, sondern häufig auf die Innenpolitik zurückzuführen“. Die Länder hätten es versäumt, sich um diese Menschen und Branchen zu kümmern.
Arbeitsmobilität erhöhen
Die Antwort muss der WTO zufolge aber sein, die Welthandel kreativer zu gestalten und die Strukturen in den Volkswirtschaften so zu verändern, dass die Arbeitsmobilität hin zu den produktiven Jobs erleichtert werde. Denn „Handelsbeschränkungen sind in der Regel ein teurer Weg, um Jobs zu schützen, sie würden nur die Produktionskosten erhöhen, während zugleich kostspielige Vergeltungsmaßnahmen zu erwarten sind von verärgerten Handelspartnern“, mahnt WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala.
Die WTO strebt daher mit allerlei Maßnahmen eine „Reglobalisierung“ an und sieht dafür auch einen günstigen Zeitpunkt. So könne die Dekonzentration und Diversifikation der Lieferketten genutzt werden, bisher unterrepräsentierte Weltregionen stärker in den internationalen Handel einzubeziehen, was als Nebeneffekt die „globale Resilienz“ auch für Industrieländer erhöhe, weil die Ressourcen auf mehrere Handelspartner verteilt würden.
Handelspolitik ergänzen
Außerdem könne auch der Handel mit digitalen Dienstleistungen ausgewogener global verteilt werden, zumal den schwächeren Ländern hier auch ein Vorteil erwächst. Denn die Zugangsschwellen im digitalen Business seien niedriger als bei Produktion und Handel mit realen Gütern.
Im Hinblick auf schwach entwickelte Länder müsse die Handelspolitik zudem ergänzt werden, damit sie auch den Strukturwandel und die Übernahme moderner Technologien bei den Handelspartnern unterstützt. Die WTO favorisiert hierfür etwa Sonderwirtschaftszonen oder die Kombination von Handelsabkommen mit Bildungsangeboten und Forschung.
Industrieländer in der Pflicht
Die entwickelten Volkswirtschaften ruft die WTO auf, die Gewinne aus dem Handel innerhalb der Länder besser zu verteilen. Das sei „zwar leichter gesagt, als getan“, räumt sie ein, doch gelte es, die Arbeitsmobilität im nationalen Arbeitsmarkt zu verbessern. Außerdem hält es die WTO für notwendig, dass die Industrieländer ihr Sozialsystem besser ausbauen, um den Strukturwandel schmerzfreier zu gestalten. Zudem müssten die oberen Einkommen stärker in die Verantwortung genommen und das Steuersystem optimiert werden. Des Weiteren sollten die Industrieländer mit einer durchgreifenden Wettbewerbspolitik übermäßige Marktmacht beschneiden, damit die Preise niedrig gehalten werden.
Steuerpolitik koordinieren
In diesem Zusammenhang spricht sich die WTO auch für eine globale Koordination der Steuerpolitik aus, wie sie etwa auch die OECD fordert mit Blick auf eine Mindeststeuer. Letzten Endes würden alle darunter leiden, wenn es aufgrund von unfair gewährten Steuervorteilen und einem Steuerwettlauf nach unten zu noch mehr Protektionismus komme, weil sich immer mehr Länder gegen den Handel aus sozialen Gründen sperrten.
Dies ist nach Meinung der WTO auch schon deshalb zu vermeiden, weil auch der Klimaschutz nur global angegangen werden könne und wirke. Daher sei globaler Handel gerade mit Blick auf die Erderwärmung ein Gebot der Stunde.
Wenig liest man indessen im WTO-Bericht darüber, wie gegen Länder vorgegangen werden soll, die den Handel und die Offenheit anderer Volkswirtschaft allein zu ihrem Vorteil ausnutzen. Das Thema China etwa, das die eigenen Unternehmen finanziell stützt, damit sie globale Preise unterbieten können, und ausländischen Anbieter auf dem heimischen Markt immer neue Hürden in den Weg legt, kommt nur am Rande vor. Dabei sind es gerade diese Konflikte, welche zu einem verstärkten Protektionismus führen.