Draghi will Italien fitmachen
bl Mailand
Italiens neuer Premierminister Mario Draghi hat ein klares Bekenntnis zum Euro sowie zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union und in der atlantischen Gemeinschaft abgelegt. In seiner Regierungserklärung vor dem Senat sagte Draghi: „Der Euro ist irreversibel. Es gibt keine Souveränität in der Isolation.“ Draghi sprach sich für eine Vertiefung der europäischen Integration und ein europäisches Budget aus, mit dem Länder in einer Krise unterstützt werden können. Er wünscht sich eine engere Zusammenarbeit vor allem mit Frankreich und Deutschland, aber auch den Ländern des Mittelmeerraums.
Draghi und seine Regierung waren am Samstag von Staatspräsident Sergio Mattarella vereidigt worden. Die neue Regierung muss jedoch vor Senat und Abgeordnetenhaus die Vertrauensfrage stellen. Die Abstimmung im Senat fand erst spät in der Nacht auf Donnerstag statt. Trotz erster Spannungen in der sehr breiten Regierungskoalition, der mit Ausnahme der postfaschistischen Fratelli d‘Italia alle Parteien angehören, bestand an einer großen Zustimmung von 85 bis 90% der Senatoren kein Zweifel. Am heutigen Donnerstag stellt der neue Premierminister dann die Vertrauensfrage im Abgeordnetenhaus, wo die Mehrheitsverhältnisse ähnlich wie im Senat sind.
Draghis Bekenntnis zu Euro und Europa erfolgte wohl auch vor dem Hintergrund von Äußerungen des Lega-Chefs Matteo Salvini, der sich am Dienstag in einer Fernsehsendung sehr ambivalent zum Euro geäußert hatte. „Nur der Tod ist irreversibel“, hatte Salvini, dessen Partei der neuen Regierungskoalition angehört, gesagt.
Draghis Rede vor dem Senat dauerte 51 Minuten und war damit deutlich länger als erwartet. Seine Einlassungen waren zwar mit Zahlen gespickt, boten jedoch im Detail wenige Präzises und keine größeren Überraschungen. Der Ex-EZB-Präsident appellierte an die gemeinsame Verantwortung der politischen Parteien und bezeichnete die nationale Einheit als „keine Option, sondern eine Notwendigkeit“. Er nannte die aktuelle Lage Italiens angesichts der Coronakrise „dramatisch“ und rechnet damit, dass das Land frühestens Ende 2022 wirtschaftlich wieder auf dem Stand von 2019 sein wird. Priorität hätten jetzt die Impfkampagne und die Stärkung des Gesundheitssystems. Der noch von seinem Vorgänger Giuseppe Conte beschlossene Nachtragshaushalt über 32 Mrd. Euro reicht aufgrund der Verschärfung der Krise wohl nicht aus. Nach Ansicht Draghis wäre es falsch, alle Wirtschaftssektoren undifferenziert zu subventionieren. Einige von ihnen müssten sich tiefgreifend wandeln, auch im Hinblick auf den Klimawandel, den er als riesige Herausforderung betrachtet.
Das europäische Wiederaufbauprogramm ist für ihn der Schlüssel für die Gestaltung der Zukunft des Landes. Es gelte, durch Innovationen, Digitalisierung, ökologischen Umbau und die Stärkung des Gesundheitssystems die Wachstumspotenziale dauerhaft zu stärken. „Jede Verschwendung der Mittel bedeutet einen dauerhaften Schaden für die kommenden Generationen“, sagte der neue Premier. Es gehe darum, nicht nur die 209 Mrd. Euro aus dem Programm zu mobilisieren, sondern auch private Kapitalgeber zu gewinnen für Investitionen in Straßen, Schienen, schnelles Internet, erneuerbare Energien und das 5G-Netz. Die Governance für das Programm soll beim Wirtschaftsministerium liegen.
Für einen Erfolg des Programms unerlässlich sind aus Draghis Sicht Reformen des Steuersystems, der öffentlichen Verwaltung und der Justiz. Das Steuersystem müsse vereinfacht und progressiver gestaltet, die Steuerlast reduziert werden. In der Verwaltung müssten die Prozesse beschleunigt und in der Justiz die Effizienz gesteigert, Verfahren vereinfacht und das Insolvenzrecht reformiert werden.
Die Wirtschaft reagiert positiv auf Draghis Ernennung. Der Zinsabstand (Spread) zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit ist seit seiner Beauftragung mit der Regierungsbildung um mehr als 30 Basispunkte gesunken, am Mittwoch aber wieder auf etwas unter 95 Punkte gestiegen.