Finanzmarkt

Eine starke Börse sorgt für mehr Investitionen in die Zukunft

Noch nie hat eine Gesellschaft Wohlstand geschaffen, indem sie das Risiko scheute. Wir Deutsche gelten aber als risikoavers, insbesondere wenn es um die Kapitalmärkte geht. Damit schaden wir uns selbst. Denn um neue Technologien großzumachen,...

Eine starke Börse sorgt für mehr Investitionen in die Zukunft

Noch nie hat eine Gesellschaft Wohlstand geschaffen, indem sie das Risiko scheute. Wir Deutsche gelten aber als risikoavers, insbesondere wenn es um die Kapitalmärkte geht. Damit schaden wir uns selbst. Denn um neue Technologien großzumachen, braucht es viel Wachstumskapital. Daran mangelt es in Deutschland. Die Anzahl der Börsengänge (IPO) ist dabei ein wesentlicher Indikator für die Leistungsfähigkeit des Kapitalmarkts, Zukunftstechnologien zu fördern.

Deutschland steht im Vergleich zu anderen Ländern schlecht da. Wir haben zu wenige Wachstumssterne, die es an die Börse schaffen. Lediglich neun Börsengänge konnte Deutschland 2020 verzeichnen. Dabei war das letzte Jahr mit weltweit über 1000 Börsengängen ein Rekordjahr.

Lücke im Ökosystem

Innovationen „Made in Germany“ müssen finanziert werden. Die Börse ist dabei eine wesentliche Finanzierungsquelle. Jedoch stellte bereits eine Expertenkommission unter dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) 2015 fest, dass die Börse eine „entscheidende Lücke im bestehenden Ökosystem der deutschen Unternehmensfinanzierung“ darstellt. Wir nutzen also die Börse nicht ausreichend, um Innovationen zu finanzieren. Seit der Feststellung hat sich an den schlechten Rahmenbedingungen hierzulande unter der großen Koalition nicht viel geändert. Man hat aktiv nichts gemacht. So verzeichnet selbst Schweden regelmäßig mehr Börsengänge als Deutschland. Die Skandinavier haben die Chancen des Kapitalmarkts erkannt und nutzen sie.

Wir müssen uns bewusst sein: 90% aller Arbeitsplätze in einem börsennotierten Unternehmen werden erst nach dem Börsengang geschaffen. Das heißt, durch Börsengänge, die nie stattfinden, werden auch viele zukunftsfähige Jobs in Deutschland nie entstehen.

Weil die Rahmenbedingungen hierzulande nicht ausreichen, gingen mit Biontech und Curevac zwei bekannte Unternehmen in den USA an die Börse. Dort steht mehr risikofreudiges Kapital bereit. Zudem gibt es mehr Investoren und Analysten, die die neuen Technologien bewerten können. In den letzten Jahren gab es in der Zukunftsbranche Biotechnologie keinen einzigen Börsengang eines deutschen Unternehmens in Frankfurt.

Wir müssen jetzt nach vorne schauen und uns fragen, was wir tun können. Unsere Volkswirtschaft hat aufgrund der Digitalisierung und der Bekämpfung des Klimawandels einen immensen Investitionsbedarf. Nahezu 90% aller Investitionen müssen dabei von privaten Akteuren kommen. Es wäre leichtsinnig, die Kapitalmärkte nicht dazu zu nutzen.

Gute Voraussetzungen

Unser Land bringt mit seiner ökonomischen Struktur, einem hohen Sparvermögen und einer guten Forschungslandschaft alle Voraussetzungen mit, dauerhaft neue Wachstumsunternehmen großzumachen. Wir benötigen aber ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Stärkung des Börsenstandorts. Fünf Punkte sind besonders hervorzuheben.

Erstens: Die wichtigste Reform hat zunächst gar nichts mit der Börse zu tun. Sie beginnt lange vor einem möglichen Börsendebüt: Wir müssen unseren Start-ups ausreichend Wagniskapital bereitstellen, damit sie überhaupt groß genug für einen Börsengang werden können. In Deutschland fehlt es daran aber gerade in späteren Wachstumsphasen. Wir haben zu wenige Fonds, die in der Lage wären, auch große zwei- oder dreistellige Millioneninvestitionen zu finanzieren.

Andererseits haben wir ein sehr hohes Sparvermögen, das aufgrund regulatorischer Hindernisse und Eigenkapitalvorschriften nicht ausreichend für die Finanzierung großer Zukunftsprojekte genutzt wird. Darunter leidet auch die Rendite. Das Anlageverhalten ist in der Niedrigzinsphase besonders ungeeignet. Wir Freie Demokraten schlagen als Lösung die Schaffung eines Dachfonds vor, der Gelder institutioneller Anleger, wie beispielsweise Versicherungen und Pensionsfonds, einsammelt und in Venture-Capital-Fonds investiert. Damit schließt sich ein Kreis. Von deutschen Start-up-Erfolgen profitieren dann auch diejenigen, die über ihre betriebliche und private Altersvorsorge vorsorgen.

Zweitens: Wir müssen unser Börsen- und Aktienrecht überarbeiten. Andere Länder sind beim Aktien- und Börsenrecht flexibler aufgestellt. Sie zeigen, dass mit speziellen Marktsegmenten und angepassten Regeln ein prosperierendes Umfeld für Börsengänge geschaffen werden kann. Ob bei den Regeln für Kapitalerhöhungen, Mehrfachstimmrechten oder zum Streubesitz – anderswo ist es einfacher, an die Börse zu gehen oder neues Kapital einzusammeln.

Wir sollten weiterhin prüfen, inwieweit administrative Kosten zum Beispiel durch Reduzierung der Berichts- und Prospektpflichten für Börsenneulinge zumindest in einer Übergangsphase in den ersten Jahren unter Wahrung des Anlegerschutzes gesenkt werden können.

Drittens: Wir müssen die Rechtsform der Aktiengesellschaft (AG) weiterentwickeln. Das zeigt sich zum Beispiel beim Thema SPAC (Special Purpose Acquisition Companies). Ein Spac ist eine börsennotierte Firmenhülle. Sie hat nur einen Zweck: Sie sammelt Gelder von Investoren ein, um mit den Mitteln beispielsweise ein Start-up zu übernehmen und es damit an die Börse zu bringen.

Spacs sind nicht frei von Risiken, insbesondere wenn das übernommene Unternehmen noch gar nicht reif für die Börse war. Für Start-ups bieten Spacs aber den Vorteil, dass ein Börsengang weniger ressourcen- und zeitaufwendig ist als ein klassischer IPO. In den USA gingen im letzten Jahr mehr als die Hälfte aller Börsengänge auf Spacs zurück. Auch in Deutschland sind Spacs möglich, nicht aber über die deutsche Rechtsform der AG. Wer als Spac in Frankfurt an die Börse will, greift daher etwa auf eine in Luxemburg gegründete SE oder die niederländische Form der N.V. zurück. Wir sollten Spacs nicht als Wunderwaffe für mehr Börsengänge verstehen, wir müssen aber ein gutes Umfeld für sie schaffen.

Erfahrungsaustausch fördern

Viertens: Deutschland braucht ausreichend Analysten und institutionelle Investoren, die das Börsengeschehen in allen Branchen sowie auch bei kleineren Aktiengesellschaften begleiten können. Daran mangelt es derzeit noch. Die neue Bundesregierung muss sich daher klarer als die scheidende zum Aktienmarkt bekennen und die volkswirtschaftlichen Vorteile von Börsengängen hervorheben. Sie muss den Erfahrungsaustausch in Netzwerken zwischen den zuständigen Akteuren fördern. Nur durch die Attraktivitäts- und Imagesteigerung des Kapitalmarktes kann dieser seine dienende Rolle für die Volkswirtschaft voll entfalten. Dieses Zeichen muss die Bundesregierung unentwegt senden.

Fünftens: An der Börse brauchen wir das Kapitalangebot durch mehr Börsengänge, wir benötigen aber auch mehr Nachfrage. Wir sollten daher die Vorteile der Aktie auch für alle drei Säulen der Altersvorsorge nutzen. Wir Freie Demokraten schlagen eine Aktienrente in der gesetzlichen Rente vor. Wie in Schweden soll ein kleiner Teil des Rentenbeitrags nicht mehr ins Umlagesystem fließen, sondern auf ein individuelles Konto, dessen Vermögen weltweit in Aktien investiert wird. Bei der betrieblichen und privaten Altersvorsorge wollen wir die Beitragsgarantie abschaffen. Diese führt dazu, dass zum Beispiel Riester-Anbieter nicht in Aktien investieren. Bei Kunden führt das wiederum zu sehr niedrigen Renditen. Unser Anlageverhalten wurde nie richtig an das Niedrigzinsumfeld angepasst. Es wird Zeit, dies zu ändern.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass auch für Privatanleger insbesondere die steuerlichen Rahmenbedingungen attraktiver gestaltet werden können. Mit der Einführung einer Spekulationsfrist oder einer Anhebung des Sparerfreibetrags kann die neue Bundesregierung hier ein Zeichen zur Stärkung der Aktienkultur setzen.

Stärken wir die Börse. Machen wir sie zum Ort, wo Zukunftstechnologien finanziert und zugleich breite Bevölkerungsschichten als Miteigentümer der Unternehmen beteiligt werden. Vermögensaufbau und Innovationsfinanzierung sind ein Kreislauf, der hohen Wohlstand schaffen kann.

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