IM INTERVIEW: LARRY HATHEWAY, GAM HOLDING

"Eine Volkswirtschaft, die zu wenig spart"

Der Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft über Großbritannien, fehlenden Inflationsdruck und Brexit

"Eine Volkswirtschaft, die zu wenig spart"

– Herr Hatheway, sehen Sie irgendwo Inflationsdruck in Großbritannien?Es gibt derzeit nur ein paar einsame Stimmen, die sich um den Preisauftrieb hierzulande Sorgen machen. Vor ein paar Monaten war das Thema wegen der steigenden Löhne noch interessanter, aber das hat sich wieder abgeschwächt. Aber das muss nicht das Ende der Geschichte sein. Denn es gibt Anzeichen für eine Verknappung am Arbeitsmarkt, die wiederum eng mit der Teuerungsrate verknüpft sind.- Wie sehen die aus?Die Zahl der unbesetzten offenen Stellen ist so hoch wie seit 15 Jahren nicht. Es gibt anekdotische Berichte, dass Unternehmen Probleme haben, qualifiziertes Personal zu finden und in manchen Fällen höhere Löhne bieten, um die benötigten Mitarbeiter gewinnen zu können. Ich bin mir also nicht ganz sicher, ob die Inflation völlig von der Bildfläche verschwunden ist. Aber sie ist vielleicht ein bisschen weniger sichtbar als noch vor ein paar Monaten.- Die Löhne steigen nicht so schnell. Gibt es da vielleicht ein Problem mit der Produktivität?Man könnte hoffen, dass es so ist. Großbritannien befindet sich in einer schon lange anhaltenden Periode sehr schwachen Produktivitätswachstums. Das geht zurück auf die Finanzkrise, nach manchen Schätzungen noch weiter. Dass es nun Wirtschaftswachstum ohne Lohnwachstum gibt, könnte auf Zugewinne bei der Produktivität hindeuten, die langsam durchsickern.- Drohen in Großbritannien demnächst Negativzinsen?Der derzeitige wirtschaftliche Rahmen wird länger in Kraft bleiben, ich würde sagen bis in die zweite Jahreshälfte, bis ins dritte Quartal. Dann könnten sich Entwicklungen ergeben, welche die Bank of England dazu bringen, der Federal Reserve zu folgen und wieder das Thema Normalisierung ins Auge zu fassen. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum das angemessen sein könnte, insbesondere wenn man das Thema Brexit einmal hinter sich hätte. Denn dann fielen die damit verbundenen finanziellen Risiken und die Zurückhaltung bei den Investitionen weg. Der Ausblick wäre klarer.- Was sind also die Gründe?Wenn die Wirtschaft bei der bereits erwähnten hohen Auslastung der Ressourcen mit der derzeitigen Rate weiter wächst, würde das nahelegen, dass es Spielraum für den Einstieg in die Normalisierung der Geldpolitik gibt. Und ich glaube, dass die Bank of England zu gegebener Zeit über die Unausgewogenheit der britischen Volkswirtschaft nachdenken muss. Im derzeitigen Umfeld wäre es wegen der Unsicherheiten mit Blick auf die Weltkonjunktur und die Erholung in der Eurozone dafür noch zu früh. Großbritannien ist eine Volkswirtschaft, die zu viel investiert und zu wenig spart, sprich im Vergleich zum Einkommen zu viel konsumiert. Darauf deutet nicht nur das Leistungsbilanzdefizit hin, sondern auch der Rückgriff auf Schulden, um Ausgaben zu finanzieren. Eine Normalisierung der Zinsentwicklung wäre in diesem Zusammenhang sinnvoll.- In welcher Weise?Sie würde dazu beitragen, eine ausgewogenere Perspektive für die britische Wirtschaft herzustellen, müsste aber vermutlich von anderen politischen Maßnahmen unterstützt werden. Wenn wir also diese Unsicherheiten über die Weltwirtschaft, die Eurozone und den Brexit bis Mitte des Jahres loswerden könnten, müssten wir uns nicht mehr über Negativzinsen unterhalten, sondern über eine Notenbank, die sich darauf vorbereitet, die Zinsen zu erhöhen.- Halten Sie einen Brexit für wahrscheinlich?Ich bin ziemlich vorsichtig, was Umfrageergebnisse angeht. Man hat es eben wieder in Iowa gesehen. Ich würde nicht sagen, dass Meinungsforschung nutzlos ist, aber die Abweichungen sind doch ziemlich groß, wie man auch in Großbritannien bei mehreren Gelegenheiten festgestellt hat. Im Moment deuten die Ergebnisse darauf hin, dass beide Lager gleichauf liegen. Wenn die Regierung nun aber eine Übereinkunft mit Brüssel erreicht – und es sieht ja so aus, als ob sie bekommen würden, was sie wollten -, würden auch die meisten Kabinettsmitglieder für einen Verbleib in der EU votieren. Bei zahlreichen Volksabstimmungen, nicht nur in Großbritannien, hat sich gezeigt, dass die Wähler konservativ sind.- Wofür stimmen sie also?Sie werden sich für das entscheiden, was sie haben, nicht für den Sprung ins Ungewisse. Das hat sich beim schottischen Unabhängigkeitsreferendum gezeigt. Obwohl die Umfragen ein äußerst knappes Ergebnis vorausgesagt hatten, war der Abstand dann doch ziemlich deutlich. Die meisten Wähler werden an die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit denken. Ich glaube nicht, dass die Befürworter des Austritts diesbezügliche Bedenken ganz beschwichtigen und den Menschen vermitteln können, dass sie jenseits der EU gleich gut leben können.- Und der ganze Unmut gegen die “Eurokraten”?Die Briten haben zwar eine ganze Reihe von Problemen mit Brüssel, mit unwillkommenen Eingriffen in ihr tägliches Leben, die manchmal als undemokratisch wahrgenommen werden. Aber das wird letztlich nicht entscheidend sein. Großbritannien wird vermutlich in der EU bleiben, insbesondere wenn sich die Regierung dafür starkmacht.—-Das Interview führte Andreas Hippin.