Eisenbahner legen Großbritannien lahm
hip London
Der schlimmste Eisenbahnerstreik seit 33 Jahren hat den Schienenverkehr im Vereinigten Königreich am Dienstag weitgehend zum Erliegen gebracht. Weil sich auch die Belegschaft des staatlichen Netzbetreibers Network Rail den Arbeitskampfmaßnahmen angeschlossen hat, können auch die Bahngesellschaften, deren Belegschaft sich nicht im Ausstand befindet, nur wenige Verbindungen aufrechterhalten. Lediglich ein Fünftel der Züge ist unterwegs. In London ist auch der U-Bahn-Betrieb weitgehend ausgesetzt. Die linke National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT), der Reinigungskräfte ebenso angehören wie Weichenwärter, fordert angesichts der rasant steigenden Lebenshaltungskosten eine Lohnerhöhung von mindestens 7%. Die von den Arbeitgebern angebotenen 2% mit der Option, einen weiteren Prozentpunkt draufzulegen, nannte die RMT „inakzeptabel“. Für Donnerstag und Samstag wurden weitere Streiks angekündigt.
Die Regierung wies darauf hin, dass während der Pandemie 16 Mrd. Pfund in die Bahngesellschaften gepumpt wurden, um ihnen über ausbleibende Einnahmen hinwegzuhelfen. Die Passagierzahlen bewegten sich derzeit bei lediglich vier Fünfteln des vor der Pandemie erreichten Niveaus. Veränderungen seien deshalb unumgänglich. Network Rail will der RMT zufolge 2500 Stellen streichen, um binnen zwei Jahren 2 Mrd. Pfund einzusparen. Der Gewerkschaft zufolge sind die Stellen für die Betriebssicherheit unverzichtbar. Dem Netzbetreiber zufolge geht es um nicht mehr als 2000 Stellen, deren Abbau auf freiwilliger Basis erfolgen könne. Premierminister Boris Johnson appellierte an die Bahnkunden, „auf Kurs“ zu bleiben, weil die vorgeschlagenen Reformen in ihrem Interesse seien. In einer Yougov-Umfrage sprachen sich 49% gegen den Streik aus, lediglich 35% unterstützen die Arbeitskampfmaßnahmen der Eisenbahner.
Bemerkenswert ist, dass die Labour-Spitze den Streik nicht wollte – wegen des Schadens, der einer breiten Öffentlichkeit dadurch in Form von verpassten Krankenhausterminen, schulischen Prüfungen und Kundenterminen entsteht. Oppositionsführer Keir Starmer wies die Mitglieder seines „Schattenkabinetts“ an, sich nicht als Streikposten zu betätigen. Abgesehen davon, dass sich prominente Labour-Politiker wie Anas Sarwar von der internen Mitteilung aus dem Büro des Parteichefs nicht einschüchtern ließen, kam die Haltung der ehemaligen Arbeiterpartei bei den Gewerkschaften schlecht an. Nicht nur bei der RMT: Die weitaus größere Gewerkschaft Unite kritisierte Starmers Haltung. Sie hatte Labour bereits bei früheren Auseinandersetzungen mit dem Entzug ihrer finanziellen Unterstützung gedroht.