Konjunkturprognosen

Engpässe lassen Prognosen purzeln

Die Erholung der deutschen Wirtschaft verschiebt sich wegen der anhaltenden Produktionsschwierigkeiten der Industrie ins kommende Jahr hinein. Immer mehr Institute senken daher die Prognosen für 2021.

Engpässe lassen Prognosen purzeln

ba Frankfurt

Wegen der anhaltenden Lieferengpässe verschiebt sich die Erholung der deutschen Wirtschaft weiter nach hinten. Etliche Institute haben ihre Prognosen für das laufende Jahr erneut gesenkt, die Erwartungen für das kommende Jahr hingegen erhöht. Beim Münchener Ifo-Institut wurde am Mittwoch die Voraussage für 2021 um 0,8 Prozentpunkte im Vergleich zur Sommerprognose gekappt und für 2022 um 0,8 Punkte nach oben geschraubt. Die Ökonomen des Bankenverbandes BdB verschoben ihre Prognosen im Vergleich zur Voraussage vom März um jeweils 0,5 Punkte. Als Wachstumsstütze gilt den Ökonomen von Ifo und BdB weiter der private Konsum. Die mit Blick auf die unvermindert ultralockere Geldpolitik in der Diskussion stehenden kräftigen Preissteigerungen wiederum werden von Ifo und BdB weiter als vorübergehendes Phänomen gesehen.

„Kraft zum Aufbruch“

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll den Münchner Wirtschaftsforschern zufolge im laufenden Jahr um 2,5% zulegen statt der noch im Juni bei der vorherigen Prognose vorausgesagten 3,3%. Im März war das Ifo-Institut noch von einem Plus von 3,7% ausgegangen. Für 2022 wird ein Wachstum von 5,1% vorausgesagt. 2023 soll die Wirtschaft „dann wieder mit normalen Raten expandieren“ – konkret sollen es +1,5% werden. Der BdB erwartet für 2021 einen BIP-Zuwachs von 3,3%. 2022 sollen es dann 4,6% werden, wobei „gut die Hälfte dieses Wachstumsschubs auf dem Rückenwind des Vorjahres beruht“, wie es beim BdB heißt. Zum Jahresende 2021 ist wieder das Vorkrisenniveau erreicht.

„Damit die Wirtschaft nicht an Fahrt verliert, brauchen wir möglichst schnell nach der Wahl eine Koalition mit der Kraft zum Aufbruch“, forderte BdB-Hauptgeschäftsführer Christian Ossig. Die künftige Wirtschafts- und Finanzpolitik gilt denn auch den Ifo-Ökonomen als Risikofaktor, da in der Diskussion der Parteien unterschiedliche Reformen des Steuer- und Abgabensystems sowie klimapolitische Maßnahmen stünden, die entsprechend für Unternehmen und private Haushalte unterschiedliche Be- und Entlastungen mit sich brächten. Auch könnte in Frage gestellt werden, ob der angenommene Konsolidierungskurs im kommenden Jahr tatsächlich eingeschlagen werde.

Einig sind sich die Ökonomen von Ifo und BdB in der Bewertung des privaten Konsums, der einen Anteil von etwa 55% an der jährlichen Wirtschaftsleistung hat und jeweils als Wachstumsstütze gesehen wird. Der BdB hat ein Plus von 7% für 2022 angesetzt – das wäre mit Abstand der stärkste Anstieg seit der Wiedervereinigung. „Das ‚Zwangs­sparen‘ durch Corona scheint vorbei zu sein, die Nachholeffekte werden bis ins nächste Jahr hinein tragen“, so Ossig. Die Münchener Forscher avisieren für 2022 sogar +7,7%. Derzeit sehe man aber „zwei verschiedene Welten beim Konsum“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser: So seien beim Warenkonsum leichte Rückgänge zu erwarten, während Kultur, Freizeit, Gastronomie und Unterhaltung der Teil des Konsums sei, der nun aufgeholt werde. Denn trotz der coronabedingten Restriktionen sei Warenkonsum möglich und damit künstlich temporär erhöht gewesen, während die konsumentennahen Bereiche komplett lahmgelegt waren. Eine Zweiteilung konstatiert Wollmershäuser auch für die gesamte Konjunktur: Während sich die kontaktintensiven Dienstleistungsbereiche kräftig von der Coronakrise erholten, schrumpfe die Wertschöpfung der Industrie wegen der Lieferprobleme trotz beinahe ununterbrochen gestiegener Auftragseingänge und Orderbüchern, die voll sind wie selten zuvor. Zum Aufschwung dürften aber auch die günstigeren Einkommens- und Beschäftigungsaussichten beitragen sowie die weiter robuste Konjunktur in den wichtigen Absatzmärkten der deutschen Exportwirtschaft.

Die Inflationsrate, die seit Jahresbeginn deutlich angezogen hat – im August wurde mit 3,9% der höchste Stand seit 1993 verzeichnet –, dürfte noch weiter anziehen. Wollmershäuser hält im weiteren Jahresverlauf Raten bis zu 5% für möglich, wie sie auch die Bundesbank erwartet. Für das Gesamtjahr steht die Prognose bei 3,3%, für 2022 bei 2,3% und 2023 dann bei 1,6%. Denn ebenso wie der BdB verweist das Ifo auf temporäre Sondereffekte wie die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer und den Ölpreisanstieg.

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