IM INTERVIEW: KNUT GIESLER

"Es werden noch gute Ergebnisse generiert"

IG-Metall-Funktionär zu Lohn, Arbeitszeit und Rente

"Es werden noch gute Ergebnisse generiert"

Knut Giesler ist Leiter des Bezirksverbands Nordrhein-Westfalen der IG Metall. Im Interview spricht er über die anstehenden Lohnrunden im Lichte der konjunkturellen Eintrübung. Er betont aber die Aufgabe der Gewerkschaft, ihre Mitglieder zur Qualifizierung zu bewegen, um der Digitalisierung gewachsen zu sein. Herr Giesler, die Lohnabschlüsse in diesem Jahr waren ja recht hoch, sie lagen zumeist über 3 %. Kann das 2020 so weitergehen?Das kann natürlich auch 2020 so weitergehen. Es kommt schließlich auf den Verteilungsspielraum an und den bestimmen immer die Inflationsrate und der Produktivitätszuwachs. Das ist das Minimum, mit dem wir auch im kommenden Jahr in die Tarifrunde gehen werden. Aber gerade das verarbeitende Gewerbe in Deutschland befindet sich in der Rezession. Jüngste Daten zeigen, dass der Auftragseingang im August um 6,7 % unter dem Vorjahr liegt. Spüren das die Mitarbeiter nicht auch in den Betrieben?Sicherlich spüren die Kollegen in den Betrieben das auch. Aber es gilt jetzt auch den Spagat zu schaffen. Schließlich war und ist es der private Konsum, der die deutsche Konjunktur gestützt hat und das ist eben nur mit guten Lohnabschlüssen möglich.- Aber noch mal bitte: Was bedeutet der wirtschaftliche Abschwung für die im kommenden Jahr anstehenden Lohnrunden, unter anderem bei der IG Metall?Wir müssen selbstverständlich schauen, dass die Unternehmen nicht überlastet werden. Aber gute Lohnabschlüsse sind trotzdem nötig, um das, was die Konjunktur gerade trägt, nämlich die gute Binnennachfrage, nicht einfach abzuwürgen und sich die Abwärtsspirale noch viel schneller dreht.- Aber sind Lohnerhöhungen im Bereich von 3 % in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage noch zeitgemäß?Ich möchte da jetzt gar nicht über Zahlen reden. Die Tarifverhandlungen stehen erst in einigen Monaten an und es wäre sicherlich zu früh, jetzt schon konkrete Forderungen aufzustellen.- Bei den Verhandlungen in diesem Jahr hat die IG Metall erreichen können, dass die Beschäftigen zwischen mehr Lohn oder mehr Freizeit wählen können. Ist Ihren Mitgliedern Geld gar nicht so wichtig?Beides ist unseren Mitgliedern wichtig. Mehr Lohn, aber eben auch mehr Zeitsouveränität und Lebensqualität. Das haben die Befragungen unserer Mitglieder ergeben und darum wird das Thema sicher in einer der kommenden Runden eine Rolle spielen. In einem der Leitanträge fordern Sie auch, dass sich die Arbeitgeber stärker an der Altersvorsorge der Beschäftigten beteiligen sollen. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten einer solchen Forderung in den anstehenden Tarifrunden?Recht gut. Wir brauchen eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung. Und eine vom Arbeitgeber finanzierte Betriebsrente ist eine gute, flankierende Maßnahme. Natürlich muss es sich um ein Modell handeln, das für alle Betriebe, also auch die kleinen und mittelständischen, darstellbar ist. Ich bin aber überzeugt, dass auch die Arbeitgeber ein Interesse an einer Betriebsrente haben. Im Lichte des Fachkräftemangels steigert eine Betriebsrente die Attraktivität von Unternehmen für potenzielle Mitarbeiter. Entgelt und Freizeitausgleich – mit der Betriebsrente kommt jetzt noch ein dritter Faktor in künftige Tarifverhandlungen. Werden diese dann nicht noch komplizierter?Tarifverhandlungen sind immer kompliziert. Egal ob es nur um Geld oder auch um qualitative Forderungen geht. Wir haben aber festgestellt, dass unseren Mitgliedern eben nicht nur das Gehalt, sondern auch qualitative Ergebnisse wichtig sind. Darum werden wir neben dem Gehalt auch in künftigen Verhandlungen den Fokus auf Arbeitszeit oder eben auch eine betriebliche Altersvorsorge richten. Sie bekleiden ja auch Aufsichtsratsmandate. Wie beurteilen Sie aus dieser Perspektive die gegenwärtige Situation des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland?Abgesehen von den Unternehmen, in denen Managementfehler gemacht wurden, ist noch kein Unternehmen im roten Bereich. Das heißt, dass noch gute Ergebnisse generiert werden. Natürlich muss man genau hinschauen, wie sich die Situation in den kommenden Monaten weiter entwickelt. Es herrscht Fachkräftemangel und gleichzeitig kann der aktuelle Abschwung auch den Arbeitsmarkt erfassen. Was ist jetzt zu tun?Wir müssen alles tun, um die Menschen in den Betrieben zu halten. Das ist uns in der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 auch gut gelungen. Lassen Sie mich als Beispiel ein Formel-1-Rennen nehmen. Wer in der Safety-Car-Phase seine Boxen-Crew rausschmeißt, wird das Rennen nicht gewinnen. Wenn wir jetzt konjunkturell in eine Safety-Car-Phase kommen, gilt es alle Instrumente zu nutzen: Kurzarbeit und tarifliche Beschäftigungssicherung. Wir haben viele Möglichkeiten, etwa auch Langzeit-Arbeitszeitkonten. Wir haben Instrumente und wir müssen sie in solchen Zeiten auch konsequent einsetzen. Was brennt Ihnen als IG-Metall-Funktionär gegenwärtig am meisten unter den Nägeln?Dass wir die Veränderungen meistern, die jetzt in der Industrie anstehen. Der große Begriff Transformation heißt doch in der Praxis nichts anderes als qualifizieren, qualifizieren und nochmals qualifizieren. Es liegt an uns, der IG Metall, diese Kette der Qualifizierung anzustoßen. Das bedeutet natürlich auch, dass Mitarbeiter ständig dazulernen müssen. Glauben Sie, dass eine breite Bereitschaft dazu überhaupt vorhanden ist?Dafür müssen wir als IG Metall kämpfen. Es ist nicht immer einfach, die Kollegen davon zu überzeugen. Aber wir müssen hier als Gewerkschaft unsere Arbeit machen. Aber ist es denn nicht mehr die Aufgabe der Arbeitgeber, ihre Mitarbeiter ausreichend für die anstehenden Veränderungen zu qualifizieren?Ich finde, dass es sowohl die Aufgabe der Arbeitgeber als auch die unsere als Gewerkschaft ist. Wir müssen unseren Kolleginnen und Kollegen vermitteln, dass ihre Jobs durch Qualifizierung sicherer werden. Es hilft nicht, als Gewerkschaft immer nur Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten zu fordern. Wir werden in Zukunft keine menschenleeren Fabriken haben, aber Fabriken, in denen Menschen andere Tätigkeiten verrichten. Das Interview führte Archibald Preuschat.