Reform der EU-Haushaltsregeln

ESM plädiert für deutlich höhere Schulden­ober­grenze

Der Eurorettungsfonds ESM hat sich in die Debatte über eine Reform der EU-Haushaltsregeln eingeklinkt. Der Vorstoß zieht umgehend Widerspruch von verschiedenen Ebenen nach sich.

ESM plädiert für deutlich höhere Schulden­ober­grenze

ahe Brüssel

In der Debatte über eine Reform der europäischen Haushalts- und Verschuldungsregeln plädiert der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) dafür, die Schuldenobergrenze von 60% auf 100% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) deutlich zu erhöhen. In einem Positionspapier hieß es zur Begründung, die Regeln müssten vereinfacht werden, „um die neue wirtschaftliche Realität und eine höhere Schuldentragfähigkeit anzuerkennen“.

Die Autoren des Eurorettungsfonds schlagen einen Zwei-Säulen-Ansatz vor, in dem die Obergrenze für das Haushaltsdefizit weiterhin bei 3% des BIP liegt und der Referenzwert für den gesamtstaatlichen Schuldenstand bei 100%. Ausgabenobergrenzen, die dem Trendwachstum folgen, würden dabei die heute bestehenden mittelfristigen Schuldenziele ersetzen. ESM-Chef Klaus Regling hatte kürzlich bereits in einem Interview mit dem „Spiegel“ eine Reform gefordert, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt wirksamer macht. Die 3-%-Defizitregel hat sich seiner Ansicht nach bewährt. Die 60-%-Schuldenquote bezeichnete Regling dagegen in dem Interview schon als „nicht mehr zeitgemäß“.

Vertragsänderung nicht nötig

Eine Kombination aus Primärsaldo und Ausgabenregel würde laut dem neuen ESM-Papier dazu beitragen, das Tempo des Schuldenabbaus für Länder mit einer hohen Staatsverschuldung von über 100% des BIP zu verankern. Eine Annäherung an den neuen Referenzwert würde weiterhin mit einem Zwanzigstel pro Jahr erfolgen – es sei denn, schwerwiegende wirtschaftliche Umstände oder eine Investitionslücke rechtfertigen Abweichungen.

In der bisherigen Debatte über den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) waren die Schwellen von 3% beziehungsweise 60% kaum beachtet worden, weil diese in den EU-Verträgen stehen und eine Vertragsänderung von den meisten Experten als wenig wahrscheinlich erachtet wird. Der ESM dagegen führt in seiner Analyse aus, dass eine solche Änderung möglicherweise auch ohne eine aufwendige Änderung der EU-Verträge und eine Ratifizierung durch die nationalen Parlamente möglich ist. Dies würde lediglich eine Einstimmigkeit im Europäischen Rat erfordern, heißt es in dem Papier. Die EU-Kommission hatte in der vergangenen Woche eine öffentliche Konsultation zur Überprüfung der Haushaltsregeln gestartet, die bis Jahresende laufen soll.

Der Vorstoß des ESM zog bereits auf verschiedenen Ebenen Widerspruch nach sich. Der Brüsseler Thinktank Ceps (Centre for European Policy Studies) erklärte in einer Kurzanalyse – die sich nicht direkt auf den ESM bezog –, das Argument, dass der aktuelle 60-%-Referenzwert nach der Coronakrise schwieriger er­reichbar sei, sei zumindest kurzfristig falsch. Die nächsten Jahre würden vielmehr von einer wirtschaftlichen Erholung geprägt sein, die durch das hohe Wirtschaftswachstum die Erfüllung des Schuldenkriteriums sogar einfacher mache. „Wenn die aktuellen makroökonomischen Bedingungen bestehen blieben, müssen selbst hoch verschuldete Länder wie Italien und Griechenland nicht einmal einen Primärüberschuss erwirtschaften, um ihre Schulden zu reduzieren“, hieß es. Es gebe keinen Grund, jetzt am Verschuldungskriterium herumzubasteln, so das Ceps.

Kritik am ESM-Papier kam auch schon aus dem Bundestag. Der CSU-Abgeordnete Alexander Radwan warnte, dieses sende genau das falsche Signal: „Die vorgeschlagene Anpassung widerspricht dem grundlegenden Ansatz des SWP, ist aber der aktuellen Situation geschuldet.“

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