China-Abkommen

EU demonstriert wachsendes Selbstbewusstsein

Der Wahlsieg von Donald Trump in den USA im Jahr 2016 veranlasste Bundeskanzlerin Angela Merkel zu der Bemerkung, Europa müsse „sein Schicksal selbst in die Hand nehmen“. Das vielleicht jüngste Beispiel ist das Comprehensive Agreement on Investment...

EU demonstriert wachsendes Selbstbewusstsein

Der Wahlsieg von Donald Trump in den USA im Jahr 2016 veranlasste Bundeskanzlerin Angela Merkel zu der Bemerkung, Europa müsse „sein Schicksal selbst in die Hand nehmen“. Das vielleicht jüngste Beispiel ist das Comprehensive Agreement on Investment (CAI), das die Europäische Union und China nach siebenjährigen Verhandlungen im Dezember in einer Grundsatzvereinbarung beschlossen haben. Obwohl sich das Abkommen von der Substanz her kaum von dem Phase-1-Abkommen zwischen den USA und China unterscheidet – das insbesondere auch Zollsenkungen und eine Ausweitung der Käufe von US-Produkten beinhaltete –, wurde der Schritt auf der anderen Seite des Atlantiks mit Bestürzung aufgenommen.

Als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist die EU deutlich offener als die USA, wobei die Exporte fast 30% des BIP der Eurozone ausmachen, verglichen mit nur 10% auf Seiten der USA. Innerhalb der EU ist die deutsche Wirtschaft eine der offensten – mit Exporten, die fast die Hälfte des BIP ausmachen, und wichtigen Handelsverflechtungen mit dem Rest der Region. Daher war es ein handelspolitischer Meilenstein, als China im Jahr 2016 zum volumenmäßig wichtigsten Handelspartner Deutschlands aufstieg (siehe Grafik).

Die Handelsbeziehungen haben sich seither noch verstärkt. Eine Aufschlüsselung der Daten aus 2019 zeigt, dass sich Deutschland auf den Export kapitalintensiver Güter nach China spezialisiert hat, insbesondere Maschinen und Transportgüter, die über bestehende Lieferketten in der EU verfügen. Daher hat Chinas wirtschaftliche Erholung von der Pandemie wichtige Auswirkungen auf ganz Europa.

Darüber hinaus zeigt die statistische Analyse, dass ein Anstieg des chinesischen Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe um 1% mit einem Anstieg der deutschen Exporte nach China um fast 3 Prozentpunkte fünf Monate später einhergeht. Dies würde beispielsweise bedeuten, dass der Anstieg des chinesischen Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe um 1,3 Prozentpunkte zwischen Oktober und November 2020 das deutsche Exportwachstum nach China bis April um 3,7 Prozentpunkte ankurbelt. Die bisherige Dynamik des chinesischen verarbeitenden Gewerbes dürfte also weiterhin der deutschen Wirtschaft zugutekommen – und die Schwäche im Dienstleistungssektor, die sich angesichts der Maßnahmen zur sozialen Distanzierung in den kommenden Monaten fortsetzen dürfte, teilweise kompensieren. Diese positiven Spill-over-Effekte von Chinas Erholung sind auch in anderen europäischen Ländern spürbar. Wir gehen daher nunmehr davon aus, dass das Wachstum im Euroraum in diesem Jahr 5% erreichen wird, gegenüber einer vorherigen Schätzung von 4%.

China-Boom für Autobauer

Der Aufschwung in China scheint sich zunehmend auf die Konsumenten auszudehnen. Dies ist ein ganz anderes Muster als jenes, das in den USA und im Euroraum zu beobachten war. Obwohl sich die Autoverkäufe in China bereits vor der Pandemie verlangsamten, war ihre Erholung – sehr wahrscheinlich unterstützt durch staatliche Kaufanreize als Teil der Pandemiebekämpfung – das deutlichste Zeichen für eine Erholung der Verbraucher. Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel der deutschen Autos in China verkauft wird, bringt dies erhebliche Vorteile für Deutschland und andere EU-Länder mit wichtigen Autozulieferketten. Tatsächlich fiel die Erholung der chinesischen Autoverkäufe mit einem Anstieg der deutschen Autoexporte um 93% im Jahresvergleich zusammen. Einige mittel- und osteuropäische Volkswirtschaften mit wichtigen automobilbezogenen Lieferketten für Fahrzeuge und zugehörige Teile haben ebenfalls einen Aufschwung in Form eines verbesserten Industrievertrauens verzeichnet

Schon vor der Pandemie war das Wohlergehen Europas eng mit der wirtschaftlichen Aktivität in China verbunden. Die Nachfrage aus China wird Europa – insbesondere Deutschland mit seinen starken Produktions- und Transporthandelsverbindungen zu seinem wichtigsten Handelspartner – helfen, die Auswirkungen der strikten Lockdowns im Dienstleistungssektor zumindest teilweise zu kompensieren. Auch wenn das CAI voraussichtlich frühestens 2022 ratifiziert und umgesetzt wird, ist zu vermuten, dass China in den kommenden Jahren strategisch wichtig für die Region bleiben wird.

Vor diesem Hintergrund haben die Erfahrungen der vergangenen vier Jahre deutlich gemacht, wie sehr das deutsche Wirtschaftsmodell auf ein stabiles, berechenbares und regelbasiertes Welthandelssystem angewiesen ist. Nach einer Periode soliden Wachstums im Jahr 2017 verlangsamte sich das Wachstum in Deutschland deutlich und flirtete in den 18 Monaten vor dem Pandemieschock im Jahr 2020 zweimal mit einer Rezession.

Handelskrieg strahlt aus

Ein wichtiger Faktor für diese Verlangsamung waren die Auswirkungen der zunehmenden geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China, die sich auf den Handel und die globalen Investitionen auswirkten. Viele Analysten konzentrierten sich damals auf die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Spannungen auf die USA und China, aber Deutschland war eindeutig im Kreuzfeuer gefangen.

Obwohl es also vielleicht über­raschend war, dass die EU die Initiative zu einem sensiblen Abkommen ergriff, das den Marktzugang für EU-In­vestoren in China verbessern sollte, war es eine klare Demonstration ihres wachsenden Selbstbewusstseins sowie ein Signal an die neue US-Regierung unter Joe Biden, dass sie sich nun als unabhängiger Partner in strategischen Fragen des globalen Handels sieht.