GASTBEITRAG

EU führt mit Arbeitslosenhilfe Euro-Bonds durch die Hintertür ein

Börsen-Zeitung, 22.4.2020 Auf Sir Winston Churchill (1874-1965) geht der Spruch zurück "Never let a good crisis go to waste" - "Lass keine Krise ungenutzt". Nicht nur die Diskussion um Corona-Bonds offenbart eine Strategie, die Europäische Union...

EU führt mit Arbeitslosenhilfe Euro-Bonds durch die Hintertür ein

Auf Sir Winston Churchill (1874-1965) geht der Spruch zurück “Never let a good crisis go to waste” – “Lass keine Krise ungenutzt”. Nicht nur die Diskussion um Corona-Bonds offenbart eine Strategie, die Europäische Union (EU) zu einer Schuldengemeinschaft hin zu einer Haftungsunion umzubauen. Zu den drei Hilfen der 500 Mrd. Euro schweren Corona-Einigung der EU-Finanzminister zählt auch ein “Europäisches Instrument zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in der durch den Covid-19-Ausbruch verursachten Krise (SURE)”. Um die sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie insbesondere in Staaten mit erschwertem Kreditzugang bewältigen zu helfen, soll SURE gemeinschaftliche Kredite in Höhe von bis zu 100 Mrd. Euro bereitstellen. Dies soll vornehmlich beschäftigungspolitische Regelungen in EU-Staaten mit erschwertem Kreditzugang finanziell möglich machen.Von der Struktur her gibt es einige Gemeinsamkeiten zum Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM), der 2010 als Rettungsschirm zur Abwendung eines drohenden Staatsbankrott Irlands (2010) und Portugals (2011) errichtet wurde:1. Rechtsgrundlage ist das EU-Recht auf der sekundärrechtlichen Basis einer EU-Verordnung.2. Die Ermächtigungsgrundlage des Finanzierungsinstruments gründet auf “außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen” (Art. 122 Abs. 2 AEUV). Ergänzend wird jedoch auch auf den Abs. 1 verwiesen, so dass Nothilfen nicht nur für einzelne Mitgliedstaaten, sondern für die gesamte EU legitimiert werden.3. Es wird mit dem Grundsatz gebrochen, dass sich die EU nicht selbst verschulden darf (Art. 17 Abs. 2 EU-Haushaltsordnung). Da die Haushaltsordnung und die SURE-Verordnung sekundärrechtlich gleichrangig sind, könnte auf der Basis von Art. 122 Abs. 1 AEUV allerdings ein normativer Notstandsvorrang begründet werden, um ein primärrechtliches Verbot der Kreditfinanzierung zu durchbrechen. 4. Das Finanzierungsinstrument ist zeitlich befristet, allerdings auf mindestens zehn Jahre angekündigt. Ergänzend heißt es in der SURE-VO: “Dieses befristete Instrument sollte unbeschadet der möglichen Schaffung eines dauerhaften Instruments auf einer anderen Rechtsgrundlage des AEUV als Notfall-Operationalisierung einer europäischen Arbeitslosenrückversicherungsregelung vor dem spezifischen Hintergrund der COVID-19-Krise gesehen werden.” Dies könnte der Einstieg in das Projekt ,Europäische Arbeitslosenversicherung` sein, das die EU-Kommission bereits seit 2013 mit dem Andor-Plan verfolgt.5. Gemäß dem Grundsatz des Haushaltsausgleichs (Art. 310 Abs. 1 UAbs. 3 und 314 Abs. 10 AEUV) bestehen relativ enge finanzielle Kapazitäten. Insbesondere normiert Art. 310 Abs. 4 AEUV, dass “die Union keine Rechtsakte [erlässt], die erhebliche Auswirkungen auf den Haushaltsplan haben könnten, ohne die Gewähr zu bieten, dass die mit diesen Rechtsakten verbundenen Ausgaben im Rahmen der Eigenmittel der Union […] finanziert werden können”.Im Unterschied zum ESFM garantiert nicht die EU mit ihren Haushaltsmitteln (Eigenmittel), sondern alle EU-Mitgliedstaaten einzeln für die von der EU-Kommission begebenen Anleihen. Das hat materiell eine ganz wesentliche Konsequenz: Die Haushaltsvorgabe (Art. 310 AEUV) wird in SURE umgangen, indem die Mitgliedstaaten im Innenverhältnis als Garantiegeber auftreten. Die garantierten Kredite können materiell wie externe zweckgebundene Einnahmen behandelt werden. Damit entfällt die Begrenzung durch die Eigenmittelobergrenze, wie sie den EFSM deckelt. Als Garantiegeber haften die Mitgliedstaaten freiwillig und anteilig gemäß ihrem Bruttoinlandsprodukt – bei Ausfall eines Mitgliedes de facto gesamtschuldnerisch auch für dessen Anteil. Es handelt sich also de facto um europäische Anleihen mit gemeinschaftlicher Staatenhaftung, kurz: Euro-Bonds durch die Hintertür. Um diesen Fall weniger wahrscheinlich zu machen, soll bei Nicht-Bedienung eine Prolongation (, Roll-over’) vorgenommen werden. Sollte also beispielsweise Italien diese Kredite nicht bedienen, könnte SURE die Kredite auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verlängern – eine Art Insolvenzverschleppung auf europäische Art. Damit die Hilfen aktiviert werden können, müssen zunächst freiwillige Garantiezusagen in Höhe von 25 Mrd. Euro vorliegen. Kredite werden auf Antragstellung eines Mitgliedes und Prüfung durch die Kommission dem EU-Rat zur Beschlussfassung vorgelegt. Eine spezielle Bedürftigkeitsprüfung oder Konditionierung gibt es im Gegensatz zu den bisherigen Rettungsschirmen nicht. Die Belastungen müssen lediglich unvermittelt und heftig angestiegen sein – dies trifft auf alle EU-Staaten zu. Die Kredite können in unbegrenzter Höhe an den jeweiligen Staat vergeben werden, wobei drei Staaten maximal 60 % der Mittel ausschöpfen dürfen. Jährlich darf SURE maximal 10 Mrd. Euro an Krediten vergeben. In Deutschland muss der Bundestag gemäß Art. 115 Abs. 1 GG bzw. § 8 Integrationsverantwortungsgesetz zustimmen, was als sicher gilt.Als Fazit bleibt festzustellen: Wer in einer Krise unrealistische Forderungen aufstellt, bekommt zumindest “einen Fuß in die Tür”, um Euro-Bonds zu späterer Zeit durchsetzen zu können. Angesichts von Target-Schulden gegenüber dem Eurosystem von 439 Mrd. Euro und italienischen Staatspapieren bei der EZB von ca. 40 Mrd. Euro (31.12.2019) wird das italienische Drohpotenzial mehr als deutlich.Dirk Meyer, Professor für Volkswirtschaftslehre, Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg