EU schnürt großes Ungarn-Paket
ahe Brüssel
In einer bislang einzigartigen Entscheidung haben sich die EU-Länder mehrheitlich darauf verständigt, einem Mitgliedsstaat aufgrund von Rechtsstaatsproblemen Mittel aus dem EU-Budget vorerst nicht auszuzahlen. Betroffen ist Ungarn, bei dem die Sorge besteht, dass Gelder wegen unzureichender Korruptionsbekämpfung veruntreut werden könnten. 6,3 Mrd. Euro aus den Kohäsionsfonds werden daher nun auf Eis gelegt.
Dies ist das Ergebnis eines seit April laufenden Rechtsstaatsprozesses gegen das Land. Die EU-Kommission hatte zuvor die Blockade von sogar 7,5 Mrd. Euro vorgeschlagen. Die EU-Staaten wollten durch eine Reduzierung der Summe jedoch die bisherigen Anstrengungen der Budapester Regierung um Ministerpräsident Viktor Orbán, Abhilfe zu schaffen, würdigen. Die 6,3 Mrd. Euro entsprechen 55% der Mittel, die Ungarn in der aktuellen Haushaltsperiode 2021 bis 2027 aus dem EU-Budget erhalten soll.
Die Entscheidung wurde von den EU-Botschaftern in Brüssel getroffen und muss nun noch von den zuständigen Ministern in einem schriftlichen Verfahren abgesegnet werden, was aber als Formsache gilt und noch vor dem EU-Gipfel am Donnerstag abgeschlossen werden soll. Das Einfrieren der Gelder ist ohnehin ein Teil eines großen Lösungspakets, das die EU-Länder nun rund um Ungarn geschnürt haben. Denn in einem weiteren Schritt billigten sie im Grundsatz den nationalen ungarischen Aufbauplan, was den Weg für Auszahlungen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds ebnet. Geld soll allerdings erst fließen, wenn insgesamt 27 Voraussetzungen auch erfüllt sind.
Im Gegenzug gab Ungarn seine Vetos gegen die 18 Mrd. Euro-Finanzhilfen für die Ukraine und gegen die Umsetzung der auf internationaler Ebene beschlossenen Mindestbesteuerung auf. Die Budgethilfen für Kiew für das kommende Jahr hatten die EU-Mitgliedsstaaten am Wochenende schon ohne Ungarn gebilligt. Jetzt können sie aber durch den EU-Haushalt abgesichert werden und nicht mehr über die 26 nationalen Budgets.
Die Umsetzung der globalen Mindeststeuer, auf die sich im Oktober 2021 knapp 140 Staaten auf OECD-Ebene geeinigt hatten, war von Orbán seit Juni blockiert worden. Auch hier hatten die übrigen 26 Staaten schon über Alternativen bei der Umsetzung ohne Ungarn nachgedacht. Nun soll die Mindeststeuer in der EU bis Ende 2023 eingeführt werden.
International agierende Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 750 Mill. Euro sollen demnach unabhängig von ihrem Sitz mindestens 15% Steuern zahlen. „Unsere Botschaft ist klar: Die größten Konzerne, ob multinational oder einheimisch, müssen eine Körperschaftssteuer zahlen, die weltweit nicht unter 15% liegen darf“, betonte der tschechische Finanzminister Zbynek Stanjura, der als amtierender Ecofin-Vorsitzender seit dem Sommer eine Lösung gesucht hatte.
Dass das Paket mit Ungarn doch noch vor Jahresende gelungen war, führten Beobachter in Brüssel unter anderem darauf zurück, dass von Ungarns 5,8 Mrd. Euro-Anteil aus dem EU-Wiederaufbaufonds 70% unwiderruflich zu verfallen drohten, wenn es jetzt keine Billigung des nationalen Ausgabeplans gegeben hätte. Zu den zahlreichen Voraussetzungen, die vor der ersten Zahlung zu erfüllen sind, gehören auch mehrere Reformen im Justizbereich sowie die Wirksamkeit der neuen Behörde zur Überprüfung mutmaßlicher Korruptionsfälle. Die eingefrorenen Budgetmittel können wieder freigegeben werden, wenn die beanstandeten Probleme innerhalb von zwei Jahren behoben sind.
Die deutsche Europastaatsministerin Anna Lührmann (Grüne) sprach im Zusammenhang mit dem Ungarn-Paket von einem historischen Signal und wichtigen Zeichen für die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in Europa. Auch im EU-Parlament zeigten sich Abgeordnete nahezu aller Fraktionen zufrieden. „Der Kuschelkurs mit den Rechtsstaatsfeinden ist beendet“, so der FDP-Abgeordnete Moritz Körner. Die EU sei kein Selbstbedienungsladen, sondern eine Rechtsgemeinschaft, die sich zu wehren wisse.