Russland-Sanktionen

Europas Öl-Plan wird nicht aufgehen

Katharine Neiss, Chefvolkswirtin Europa beim Vermögensverwalter PGIM Fixed Income, ist skeptisch ob der neuen EU-Sanktionen gegen russisches Öl.

Europas Öl-Plan wird nicht aufgehen

Obwohl die EU-Staaten einem teilweisen Verbot russischer Öllieferungen und einem schrittweisen Ausstieg aus dem Kauf von Rohöl auf dem Seeweg in den nächsten sechs Monaten zugestimmt haben, sehen wir keine wesentliche Änderung unserer Wirtschaftsprognosen für den Euroraum. Der schrittweise Charakter des Ölverbots gibt Russland viel Zeit, um alternative Bestimmungsorte für seine Energieexporte zu finden, und signalisiert eine nachlassende Entschlossenheit und mangelnde Führungsstärke der europäischen Politiker. Der Energiebedarf während des Winters wird in den kommenden Monaten wahrscheinlich wieder zu einem Problem werden, und die Parlamentswahlen in Italien im nächsten Jahr werden die Bemühungen, Europa von russischer Energie zu entwöhnen, wahrscheinlich weiter erschweren.

Trotz der schwierigen Aussichten für die Energieversorgung Europas hat sich die Wirtschaft des Euroraums bisher als widerstandsfähig erwiesen. Wir sind jedoch inzwischen besorgt, dass die Wirtschaftszone angesichts niedriger Gasvorräte und anhaltenden Lieferengpässen kurz vor einer Stagflation steht.

Nun haben sich die EZB-Vertreter öffentlich dazu verpflichtet, einen Mechanismus zur Beeinflussung der Renditeaufschläge an der Peripherie zu schaffen, obwohl Programme mit vagen Bedingungen und Verpflichtungen in der Vergangenheit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Außerdem birgt die Einführung eines unausgegorenen Plans die Gefahr, das Vertrauen der Anleger weiter zu verlieren und kontraproduktiv zu sein.

Auch wenn sich die Aussichten in den letzten Monaten nicht wesentlich verändert haben, sehen wir die größte Unsicherheit für die Region in der Reaktion Russlands. Das größte Energierisiko geht nicht von Rohöl oder Diesel aus, sondern von der Tatsache, dass ein plötzlicher Stopp der russischen Gaslieferungen weiterhin im Raum steht. Die Reduzierung der Fördermenge über Nordstream 1 und der Stopp der russischen Gaslieferungen nach Dänemark und in die Niederlande hat bereits zu einem Anstieg der Erdgaspreise in Europa geführt, auch wenn der Rest der Region aktuell keine Pläne hat, die Einfuhr von russischem Gas einzustellen.

Insgesamt sind wir skeptisch gegenüber Europas erklärtem Plan, die russischen Rohöl- und Diesellieferungen zu stoppen. Die Ankündigung enthält kaum Hinweise, wie die EU die entgangenen russischen Lieferungen kompensieren will. Außerdem ist es schwer vorstellbar, dass europäische Politiker Maßnahmen zur Reduktion der Nachfrage tolerieren, wenn es ihnen nicht gelingt, andere Energiequellen zu finden, um die Lücke adäquat zu schließen. Die Lücke in der Rohöl- und Dieselproduktion beläuft sich auf rund 4 Mill. Barrel/Tag, so dass es schwierig ist, auf dem derzeit bereits angespannten Rohstoffmarkt weltweit freie Kapazitäten zu finden. Selbst für den Fall, dass es Russland gelingt, seine Lieferungen nach China und Indien umzuleiten, ist nicht klar, ob der Hauptlieferant Saudi-Arabien bereit sein wird, seinen dortigen Marktanteil aufzugeben. Tatsächlich waren die Reaktionen der Energiemärkte auf die jüngste Runde russischer Sanktionen relativ gedämpft, was zeigt, dass die Marktteilnehmer von der Durchführbarkeit des EU-Plans relativ wenig überzeugt sind.