EZB-Direktorin Schnabel deutet große Zinserhöhung an
rec Frankfurt
Die Europäische Zentralbank (EZB) steuert auf eine zweite große Zinserhöhung zu. Das hat EZB-Direktorin Isabel Schnabel in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters angedeutet. Die Inflationsaussichten hätten sich nicht verbessert. Derweil haben dem Vergleichsportal Verivox zufolge die meisten Banken ihre Verwahrentgelte abgeschafft, einige Dutzend aber noch nicht.
Im Juli erhöhte die EZB zum ersten Mal seit elf Jahren die Leitzinsen, und zwar gleich um 50 Basispunkte. Damit hat sie das Ende der Negativzinsen für Banken vorgezogen. Offen gelassen haben die Währungshüter, wie es ab September weitergeht. Sie wollen von nun an Sitzung für Sitzung entscheiden. Schnabel prescht als erste hochrangige EZB-Notenbankerin nach der Sommerpause vor. Deswegen sorgen ihre Aussagen am Markt für große Aufmerksamkeit.
Schnabel ruft den verschlechterten Inflationsausblick als Motiv für die kräftige Zinserhöhung zum Auftakt in Erinnerung und stellt klar: „Im Moment denke ich nicht, dass sich dieser Ausblick grundlegend geändert hat.“ Lettlands Notenbankchef Martin Kazaks zeigt sich in einem TV-Interview ähnlich beunruhigt. Im Juli ist die Inflation im Euroraum auf 8,9% gestiegen. Diese Erstschätzung bestätigte das Statistikamt Eurostat am Donnerstag. Das ist die höchste Inflationsrate seit Einführung des Euro 1999.
Gasumlage treibt Inflation
„Wenn ich mir die jüngsten Daten anschaue, würde ich sagen, dass die Sorgen, die wir im Juli hatten, nicht zerstreut wurden“, sagt Schnabel. Die Deutsche, die im EZB-Direktorium für die Umsetzung der Geldpolitik verantwortlich ist, schließt nicht aus, dass die Inflation in den kommenden Monaten weiter steigt. In Deutschland sind aufgrund der nun festgelegten Gasumlage im vierten Quartal zweistellige Inflationsraten im Bereich des Möglichen. Die Gasumlage in der größten Euro-Volkswirtschaft soll ab Oktober greifen. Die EU-harmonisierte und für die EZB einschlägige HVPI-Rate liegt hierzulande bei 8,5%.
Schnabels Äußerungen zeigen, dass in der EZB unvermindert große Besorgnis herrscht, nachdem die Notenbank in den Augen vieler Ökonomen lange zu zögerlich agierte. Der Preisschub erfasse inzwischen auch Dienstleistungen und Industriegüter, mahnt Schnabel. „Das ist eine breit angelegte Entwicklung.“ Der Inflationsdruck werde wahrscheinlich nicht schnell abklingen: „Selbst mit der laufenden geldpolitischen Normalisierung wird es einige Zeit dauern, bis die Inflation wieder zurückgehen wird auf 2%“, also das mittelfristige Inflationsziel der EZB.
Frederik Ducrozet, EZB-Beobachter des Vermögensverwalters Pictet, stechen Schnabels Bemerkungen zu den Inflationserwartungen ins Auge. Für Schnabel weisen mehrere Indikatoren auf ein erhöhtes Risiko hin, dass diese sich vom EZB-Inflationsziel absetzen: „Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir solche Zeichen ernst nehmen.“ Für Ducrozet ist die „Kernaussage“, dass die EZB trotz Rezessionssorgen nicht so bald umschwenken wird. Antoine Bouvet, Zinsstratege der niederländischen Bank ING, hat den Eindruck, der schwache Euro bereite der EZB „schlaflose Nächte“.
Das Vergleichsportal Verivox hat untersucht, wie Banken und Sparkassen mit dem Ende des negativen Einlagesatzes bei der EZB umgehen. Das Ergebnis: Mehr als 80% der Institute haben ihre sogenannten Verwahrentgelte abgeschafft. Insbesondere bei vielen Genossenschaftsbanken und Sparkassen, konstatiert Verivox, waren die Negativzinsen an den EZB-Einlagezins gekoppelt und entfielen somit automatisch, als am 27. Juli die neuen Leitzinsen in Kraft getreten sind.
Aktuell wiesen noch 79 Geldhäuser Negativzinsen in ihren Preisverzeichnissen aus. Verivox-Chef Oliver Maier geht davon aus, dass sie bald nachziehen. „Wir rechnen damit, dass in den kommenden Tagen und Wochen die meisten dieser Banken neue Konditionen veröffentlichen und ihre Negativzinsen streichen werden“, sagt Maier. „Das Ende der Negativzinsen ist besiegelt.“