EZB-Papier fordert Fiskalkapazität
jw Frankfurt – Wie kann die Eurozone krisenfester gemacht werden? Diese Frage stellen sich dieser Tage nicht nur Politiker auf EU-Gipfeln, sondern auch die Wissenschaftler der Europäischen Zentralbank (EZB). In einem neuen Papier schlagen die Experten eine Fiskalkapazität für die Eurozone vor, die sich am Welthandelssystem orientiert.Transferzahlungen sollen in diesem Modell an die Mitgliedsländer gezahlt werden, wenn die jeweiligen Exportsektoren der Länder besonders stark von Veränderungen im Welthandel (etwa durch Strafzölle) betroffen sind und es so zu einem drastischen Rückgang der Wirtschaftsleistung des Landes kommt. Reicht die automatische Stabilisierung der Wirtschaft durch den nationalen Haushalt nicht aus oder kommt es gar zu einer Bankenkrise, könnte dann die Fiskalkapazität greifen. Die EZB-Wissenschaftler stellen sich das Modell so vor: Wenn der Welthandel in einem bestimmten Sektor sinkt, erhalten die Mitglieder des Euroraums, für welche dieser Sektor relativ groß ist, einen Transfer von Mitgliedern, in denen dieser Sektor kleiner ist. Da die Transfers auf Veränderungen der Exporte in einzelnen Sektoren zielen, kann es laut den Ökonomen keinen dauerhaften Transfer von einem in das andere Land geben. Zudem seien die Transfers antizyklisch, das heißt, sie steigen, wenn es der Wirtschaft schlecht geht, und fallen, wenn es ihr gut geht. In einer durchgeführten Simulation der Ökonomen wäre Deutschland von 2008 bis 2009 ein großer Profiteur dieser Fiskalkapazität gewesen, da es in den Jahren unter negativen Schocks im Auto- und Maschinensektor gelitten hätte. Dafür hätten etwa Frankreich und die Niederlande, die weniger in diesen Sektoren spezialisiert waren, damals mehr in das Transfersystem einzahlen müssen. In den vergangenen Jahren hätte Deutschland dafür wieder netto mehr zum Transfersystem beitragen müssen. Da die Fiskalkapazität auf exogene Entwicklungen im Welthandel reagiere, sei sie frei von negativen Anreizen (“moral hazard”), welche die Bemühungen der Regierungen, Strukturreformen zu betreiben, nicht linderten. Allerdings geben die Autoren auch zu, dass es in dem Stabilisierungssystem eine Tendenz geben könnte, die manche Länder abhängiger von den Transfers machen könnte als andere. So seien Italien, Portugal und Griechenland weniger auf Sektoren spezialisiert, die in den vergangenen Jahren stark gewachsen seien. Sektoren wie die Autobranche in Deutschland oder die Finanzdienstleistung in Irland boomten derweil, was diese Länder eher zu Nettozahlern gemacht hätte. Die Annahme der Autoren, dass ein bestimmter Sektor nicht für immer wachsen oder abnehmen kann und die Transfermuster sich dann irgendwann umdrehen müssten, scheint daher durchaus optimistisch – denn die Trends im Welthandel dauern mitunter doch sehr lange. Auch geben die Autoren zu, dass überlegt werden müsste, wie die Regierungen die erhaltenen Transfers am besten nutzen sollten – sie schlagen Trainings- oder Umschulungsprogramme innerhalb der Branchen vor.