EZB sieht Geringverdiener als Profiteure der Anleihekäufe
rec Frankfurt
Internen Berechnungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zufolge trägt die EZB mit ihrer Geldpolitik zumindest in Teilen dazu bei, die wirtschaftliche Ungleichheit im Euroraum zu reduzieren. Zu diesem Ergebnis kommen Volkswirte der Notenbank in einem Aufsatz im neuen Wirtschaftsbericht, den die EZB am Mittwoch auszugsweise veröffentlichte. Parallel kommen Forscher der Goethe-Universität in einer anderen Studie hingegen zu dem Befund, dass gerade ärmere Haushalte von Inflation betroffen sind.
Die Folgen der seit Jahren sehr lockeren Geldpolitik der EZB mit Null- und Negativzinsen sowie breiten Anleihekäufen (Quantitative Easing, QE) für die Einkommen und Vermögen privater Haushalte sind immer wieder Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Kritiker werfen der EZB vor, der von ihrer Liquiditätsschwemme beförderte Boom an den Aktien- und Immobilienmärkten führe dazu, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehe. Die Währungshüter halten dem regelmäßig entgegen, die guten Finanzierungsbedingungen im Euroraum hätten indirekt Millionen Arbeitsplätze erhalten und geschaffen, da sie die Konjunktur stützten.
Dies ist auch einer der wesentlichen Befunde in der neuen Studie mit dem Titel „Geldpolitik und Ungleichheit“. Darin haben Volkswirte der Notenbank Daten aus Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien herangezogen und mit ihnen speziell die Wirkungen der Anleihekäufe im Rahmen des seit 2015 laufenden regulären Kaufprogramms APP („Asset Purchase Programme“) auf Einkommen und Vermögen untersucht. Via APP hat die EZB inzwischen fast 3 Bill. Euro an Anleihen erworben – hauptsächlich von Euro-Staaten, aber zu mehreren hundert Mrd. Euro auch Anleihen von Unternehmen.
Millionen weniger Arbeitslose
Der Studie zufolge ist die Arbeitslosenquote im Euroraum deutlich stärker gefallen, als dies in einem Umfeld ohne Anleihekäufe durch die Notenbanken der Falle gewesen wäre. Besonders stark ist der berechnete Effekt bei jenen Haushalten mit den geringsten Einkommen: mehr als 2 Prozentpunkte. Deutlich geringer fällt der Effekt in den höheren Einkommensgruppen aus. „Der Rückgang der Arbeitslosigkeit trägt substanziell zu Einkommenszuwächsen auf breiter Front bei, insbesondere im Bereich der niedrigen Haushaltseinkommen“, konstatiert die EZB. Demnach haben Haushalte im untersten Fünftel mit einem durchschnittlichen Plus von mehr als 3 Prozentpunkten mit Abstand am stärksten profitiert (siehe Grafik). Damit sinke auch die wirtschaftliche Ungleichheit.
Weniger eindeutig sind die Effekte der Anleihekäufe für Vermögen. Hier hat der Anstieg der Immobilienpreise laut EZB den größten Effekt. Insbesondere die Mittelschicht habe wegen der sehr niedrigen Zinsen von geringeren Hypothekenzahlungen profitiert. Im Schnitt beläuft sich die Ersparnis demnach auf einen mittleren dreistelligen Eurobetrag. In Ländern wie Spanien haben überdurchschnittlich viele Haushalte Wohneigentum, gerade im Vergleich zu Deutschland. Vor diesem Hintergrund werden stark steigende Immobilienpreise hierzulande besonders intensiv unter dem Aspekt sozialer Ungleichheit diskutiert.
Unterschiedliche Warenkörbe
Kritischer hat sich das Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE mit den Verteilungsfragen der Geldpolitik auseinandergesetzt. So sei festzustellen, dass ärmere Haushalte in der Eurozone seit der Jahrtausendwende mit höheren Preissteigerungen konfrontiert gewesen seien als reichere. Güter und Dienste, die sie bevorzugt konsumieren, hätten vergleichsweise hohe Inflationsraten aufgewiesen. Demnach fällt bei reicheren Haushalten der Großteil der Gesamtausgaben eher auf Telefon, Autos, Bekleidung, Freizeit, Erholung und Kultur und somit auf Bereiche, in denen die Teuerungsrate im EU-Durchschnitt niedrig ist. Hingegen wenden ärmere Haushalte den Großteil ihrer Gesamtausgaben für Mieten, Energieversorgung und Nahrungsmittel auf, die innerhalb von 14 Jahren bis 2015 überdurchschnittlich im Preis gestiegen sind.
„Die eine Inflationsrate für Konsumausgaben gibt es nicht“, sagt Alfons Weichenrieder, Autor des Policy Letters bei SAFE und Professor für Finanzwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, „dafür sind die Warenkörbe zu unterschiedlich.“ Für die Geldpolitik, so Weichenrieder, könnte es daher sinnvoll sein, die Inflation nicht an einem bestimmten Warenkorb abzulesen, sondern mehrere Preisindizes einzubeziehen. Trotzdem sei Umverteilungspolitik nicht ihre Aufgabe: „Die EZB hat nicht das passende Werkzeug, um die sektorale Struktur der Inflation zu beeinflussen und für Umverteilung zu sorgen, dafür ist die Steuerpolitik besser geeignet.“