Geldpolitik

EZB will bei Zinssenkungen geduldig sein

Estlands Notenbankchef Madis Müller kritisiert die Markterwartungen, dass die EZB bereits im Frühjahr die Zinsen senkt. Auch sein französischer Amtskollege François Villeroy de Galhau findet, die Zentralbank „sollte sich Zeit nehmen“.

EZB will bei Zinssenkungen geduldig sein

EZB will bei Zinssenkungen geduldig sein

Estlands Notenbankchef kritisiert Markterwartungen – Französischer Amtskollege: Zentralbank „sollte sich Zeit nehmen“

mpi Frankfurt

Einen Tag nach dem Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank (EZB) haben sich mehrere Ratsmitglieder zu Wort gemeldet und zeitnahen Zinssenkungen eine Absage erteilt. Die Erwartungen der Finanzmärkte an eine Lockerung bereits im ersten Halbjahr seien „zu optimistisch und auch ein wenig kindisch“, sagte Estlands Notenbankchef Madis Müller am Freitag dem estnischen Radiosender „Äripäev“. Es sei noch zu früh, um den Sieg über die Inflation zu verkünden.

An den Finanzmärkten wird weiterhin mit einer ersten Zinssenkung im März oder spätestens April gerechnet. Insgesamt sind für 2024 Zinssenkungen von 150 Basispunkten eingepreist. Die Erwartungen der Anleger passen nicht zu den Äußerungen der Ratsmitglieder. Diese haben in den vergangenen Tagen und Wochen wiederholt betont, dass die Leitzinsen eine längere Zeit hoch bleiben dürften, damit die Inflation zeitnah wieder auf das Preisstabilitätsziel von 2% fällt.

Diesen Standpunkt äußerte am Freitag auch Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau. „Wir stehen auf einem Plateau, auf dem man sich die Zeit nehmen sollte, die Aussicht zu genießen“, sagte er im Gespräch mit dem Finanzportal Boursorama. Auf dem Plateau solle man sich an den Auswirkungen der Geldpolitik erfreuen. Diese wirke eindeutig restriktiv, führte er aus.

Zeit der Zinserhöhungen vorbei

„Sofern es keine Schocks oder Überraschungen gibt, sind die Zinserhöhungen vorbei – aber das bedeutet nicht, dass es bald zu einer Zinssenkung kommen wird“, sagte er. „Wir orientieren uns nicht an einem Kalender, sondern an Daten.“ Ähnlich hatte sich am Donnerstag seine Landsfrau und EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid geäußert.

Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Insider berichtet, hätten die aggressiven Lockerungswetten an den Finanzmärkten bei der EZB in dieser Woche für einige Irritationen gesorgt. Manche Ratsmitglieder zeigten sich erstaunt über das Ausmaß der Zinssenkungen, mit denen die Anleger rechnen.

Im EZB-Rat werde nicht davon ausgegangen, die Geldpolitik anzupassen, bevor im März ein Update zum Wachstums- und Inflationsausblick ansteht, berichten laut Bloomberg darüber informierte Personen. Die EZB bestätigte den Bericht nicht.

Inflation dürfte im Dezember wieder steigen

„Es gibt keinen Grund, in naher Zukunft über eine weitere Zinserhöhung oder eine Zinssenkung nachzudenken“, sagte Estlands Notenbankchef Müller am Freitag. „Jetzt gilt es vor allem, vor den nächsten Entscheidungen geduldig abzuwarten, bis sich deutlichere Anzeichen dafür abzeichnen, dass die Inflationsrate im Euroraum in absehbarer Zeit tatsächlich dauerhaft auf 2% sinken wird“, führte er aus. „Gleichzeitig ist es kaum zu glauben, dass die Zentralbank so schnell ein solches Vertrauensgefühl erreichen kann, wie es die Anleger an den Finanzmärkten derzeit erwarten.“

Die Inflation im Euroraum ist im November mit 2,4% auf den niedrigsten Stand seit Sommer 2021 gefallen. Zum Jahresende dürfte sie wegen Basiseffekten bei den Energiepreisen jedoch wieder steigen. Die EZB geht in ihrer jüngsten Prognose davon aus, dass die Teuerung im kommenden Jahr bei 2,7% liegen wird und erst 2025 in etwa das Inflationsziel von 2% erreicht.

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