Finanzbranche braucht Übergangsgesetzgebung zum Brexit
Von Angela Wefers, BerlinDer Tag des Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union am 29. März 2019 rückt unerbittlich näher. Die Bundesregierung bereitet Notfallgesetzgebung für die Finanzmarktakteure vor – für den Fall, dass es zu einem harten Brexit, also einem ungeordneten Ausscheiden kommt. Denn noch immer steht eine Einigung über das Ausstiegsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU aus. Finden die Verhandlungspartner keine Lösung, wird auch die angestrebte Übergangsfrist bis mindestens 2020 nicht kommen. Diese Frist soll in den Unternehmen für Rechtssicherheit in der Zeit der Verhandlung über das künftige Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sorgen und die Umstellung erleichtern. Nervosität steigtDie Nervosität über offene Fragen im Fall eines harten Brexits steigt in der Finanzbranche. Das Bundesfinanzministerium will nun durch prophylaktische Gesetzgebung für Ruhe in den Unternehmen sorgen. Finanzstaatssekretär Jörg Kukies rief in diesen Tagen die Marktteilnehmer auf, sich auf einen harten Brexit vorzubereiten. Auch das Ministerium bereitet sich auf verschiedene Szenarien vor. Die Finanzaufsicht soll demnach gesetzlich Notfallbefugnisse erhalten, um bei grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungsverträge – vor allem außerbörslicher Derivateverträge – und bei bestimmten Arten von Versicherungsverträgen eingreifen zu können. Details ließ Kukies offen. Die Regelungen sollen zügig kommen, stellte er in Aussicht. Zudem stimmt sich die Bundesregierung mit EU-Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien ab, damit die nationale Gesetzgebung nicht in Konflikt mit der EU gerät. Fehlende Absicherung Bestehende grenzüberschreitende OTC-Derivatkontrakte (Over The Counter) mit Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich könnten durch den Brexit zivilrechtlich nicht mehr gültig sein. Damit sind sie zur Absicherung nicht mehr geeignet. Die künftige Behandlung der Derivate betrifft nicht nur Banken, sondern auch Versicherungsunternehmen. Versicherer setzen Derivate oft ein, um ihre Portfolios zu steuern und Markt- und Zinsrisiken abzusichern.Soweit das Euro-Clearing über zentrale Gegenparteien betroffen ist, das größtenteils in London läuft, ist die EU als Gesetzgeber gefragt. Die europäischen Finanzaufsichtsbehörden haben keinen Zugriff mehr, wenn das Clearing nach dem Brexit in einem EU-Drittland liegt. Risiken, die sich daraus ergeben, werden in der Überarbeitung der EU-Finanzmarktverordnung Emir erfasst werden. Das Bundesfinanzministerium in Berlin wirkt in den nach seinen Möglichkeiten dabei mit.Eine Lösung für offene Fragen winkt auch der Fondsbranche, die Teile ihrer Wertschöpfungskette in ganz Europa verteilt hat. Fonds werden etwa in Luxemburg aufgelegt und in anderen europäischen Ländern vertrieben. Die Fondsmanager aber arbeiten von London. Es sieht so aus, als könne dies auch künftig so bleiben. Unter dem Stichwort “Auslagerung von Dienstleistungen und Outsourcing” haben die nationalen Aufseher und die EU-Aufsichtsbehörde ESMA versichert, rechtzeitig einen Memorandum Of Understanding mit der britischen Aufsicht FCA bereit zu halten, sagte Kukies in Berlin. Diese Dienstleistungen sollen auch künftig weiterhin im Vereinigten Königreich erbracht werden können. Kukies riet den Unternehmen dazu, dies bei ihrer Brexit-Planung zu berücksichtigen. Status quo vorerst wahren Einiges ist schon in der gesetzgeberischen Planung auch für einen Weichen Brexit. Für nötige Anpassungen in der Pfandbriefbranche und bei Bausparkassen durch den Brexit liegt bereits ein Referentenentwurf aus dem Bundesfinanzministerium vor. Sie sind Teil des Brexit-Steuerbegleitgesetzes. Das Gesetz ist grundsätzlich darauf ausgelegt, den Status quo für eine Übergangszeit zu wahren und zu verhindern, dass der Brexit ungewollte Rechtsfolgen katalysiert und ohne Zutun des Steuerpflichtigen zu steuerlichen Nachteilen führt. Würde der Brexit etwas als “schädliches Ereignis” im Sinne des Einkommensteuerrechts gewertet, müsste der Steuerpflichtige etwa Ausgleichsposten für Wirtschaftsgüter auflösen, die bereits nach Großbritannien überführt sind. Das Gesetz verhindert auch Wegzugs- und Liquidationsbesteuerung sowie eine mögliche rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns. Das Gesetz soll am 29. März 2019 mit dem Austritt Großbritanniens in Kraft treten – oder am Ende der Übergangsfrist. Sicherheit für Bausparkassen Deutsche Bausparkassen finanzieren nach Angaben des Branchenverbandes der privaten Institute Eigenheime weitgehend in Deutschland und nur vereinzelt in Großbritannien. Vom Brexit könnten aber die Anlage verfügbarer Gelder und die Bestellung von Grundpfandrechten betroffen sein. Für beides wird in aktuellen Gesetzen Bezug auf die EU genommen. Großbritannien wäre damit als Drittland nach dem Brexit davon nicht mehr erfasst. Mit der neuen Gesetzgebung würde das Vereinigte Königreich für eine gewisse Zeit einem EU-Mitgliedsland gleichgestellt. Anlagegelder können damit bis zur Fälligkeit gehalten werden. Grundpfandrechte bleiben bestehen, bis die Forderung wegfällt. Auch das Pfandbriefgesetz muss angepasst werden, wenn der Brexit keinen Schaden im Bestand hinterlassen soll. Zur Besicherung von Forderungen dürfen derzeit auch in der EU gelegene Grundstücke in den Deckungsstock zu Sicherung von Forderungen eingebracht werden. Wird Großbritannien zum Drittstaat, fällt diese Regelung weg. Die würde nicht nur für das Neugeschäft gelten, sondern auch für den Bestand. Mit der Änderung des Pfandbriefgesetzes wird verhindert, dass Grundstücke in Großbritannien ihre Deckungsstockfähigkeit verlieren. Da nicht nur Hypothekenbanken, sondern auch andere Institute wie Bausparkassen Pfandbriefe auflegen, profitieren auch diese von der neuen Regelung. Riester-Rente mit Bestand Selbst die Riester-Rente ist vom Brexit bedroht. Wer eine selbst genutzte Immobilie in Großbritannien vor dem 29. März erworben hat oder noch erwirbt – und diese mit einem einen Riester-geförderten Bausparvertrag finanziert – hätte Probleme. Die Übergangsgesetzgebung regelt, dass alle staatlichen Zulagen und Steuervorteile beim sogenannten Wohn-Riester auch nach dem Brexit erhalten bleiben. Auch die Kapitalübertragung des geförderten Vermögens auf den Ehepartner wird für den Fall, dass der Riester-Sparer stirbt, so geregelt, dass keine Förderung verloren geht, wenn Wohnsitz oder Aufenthaltsort in Großbritannien sind.