EURO-ARBEITSMÄRKTE IN DER CORONAKRISE

Flexibilität macht verwundbar

Jobmärkte mit wenigen Teilzeitkräften und Selbständigen sind in Krisen widerstandsfähiger

Flexibilität macht verwundbar

Zu den unausweichlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie gehört die tiefste globale Rezession seit Jahrzehnten. Auch die Arbeitsmärkte geraten weltweit unter Druck. Wie widerstandsfähig sie sind, liegt vor allem an ihrer Struktur.Von Alexandra Baude, FrankfurtDer Ausbruch des Coronavirus hat die Weltwirtschaft auf Talfahrt geschickt und beschert der Europäischen Union (EU) eine “Rezession historischen Ausmaßes”, wie die EU-Kommission in ihrer Frühjahrsprognose schreibt. Noch erwarten Ökonomen, dass im zweiten Halbjahr 2020 eine kräftige Erholung einsetzen wird – in Abhängigkeit vom Tempo der Lockerungsschritte und unter der Voraussetzung, dass es nicht zu einer zweiten Infektionswelle kommt. Der Druck auf die Arbeitsmärkte wird dagegen noch länger anhalten. Und bereits jetzt hat die Corona-Pandemie Millionen Menschen den Job gekostet, was sich wiederum negativ auf den Konsum und damit eine der Wachstumsstützen der entwickelten Volkswirtschaften auswirken wird. Dramatische Lage in den USABesonders deutlich lässt sich der Druck auf die Arbeitsmärkte am Beispiel der USA ablesen, da deren Jobmarkt sehr flexibel ist und äußerst schnell auf wirtschaftliche Veränderungen reagiert: Im Februar noch lag die Arbeitslosenquote mit 3,5 % auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten, im März waren es bereits 4,4 %. Ökonomen prognostizieren, dass die Quote deutlich an die 20-%-Marke heranklettern oder sie gar überschreiten wird. Gemessen am ADP-Arbeitsmarktbericht sind im April in der Privatwirtschaft 20,23 Millionen Jobs verloren gegangen – im März waren es 149 000.So schnell die Arbeitnehmer in den USA gefeuert werden, werden sie aber auch wieder angeheuert. Die Sockelarbeitslosigkeit, so befürchten Experten allerdings, wird dennoch für eine längere Zeit hoch bleiben. Zwar hat die US-Regierung mit Cares, dem “Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security Act”, die Arbeitslosenversicherung aufgestockt und auch die Unternehmen mit Blick auf Verlustrücktrag, Lohnsteuergutschrift und die Stundung des Arbeitgeberanteils zur Sozialversicherung entlastet. Ob dies aber ausreicht, ist fraglich.Mit Blick auf den alten Kontinent sind Ökonomen etwas gelassener, da die Regierungen im Euroraum zahlreiche Schutzmaßnahmen für die Arbeitsmärkte und die Unternehmen auf den Weg gebracht haben (siehe nebenstehender Bericht). Wie sich schon in der globalen Finanzkrise gezeigt hat, sind Kurzarbeitsprogramme sehr gut geeignet, Arbeitsplätze zu sichern und bei den Betroffenen die Kaufkraft weitestgehend zu erhalten. Diesmal wurden zumeist vorhandene Programme erweitert oder der Zugang erleichtert. Die Unternehmen, die gleichzeitig unter einem starken und abrupten Nachfragerückgang sowie der Störung internationaler Lieferketten leiden, werden einerseits finanziell unterstützt. Andererseits können so die nötigen Arbeitskräfte gehalten werden, damit die Produktion reibungslos wieder anlaufen bzw. ausgedehnt werden kann, sobald der Lockdown endet, die Lieferketten wieder stehen und die Nachfrage steigt. Nachfrage in Europa stabilerAuch wirkt sich ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit in Europa im Durchschnitt nicht so schnell und so kräftig auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aus wie in den USA. Zunächst wird die Arbeitslosenzahl aber auch hier kräftig steigen. In ihrer aktuellen Prognose erwartet die EU-Kommission für den Euroraum eine Arbeitslosenquote von 9,6 % im Jahresschnitt 2020 nach 7,5 % im vergangenen Jahr. 2021 dürfte die Quote dann wieder auf 8,6 % sinken (siehe Grafik).Die Besonderheiten in der Struktur der Jobmärkte sorgen für eine unterschiedlich ausgeprägte Widerstandskraft in der Coronakrise. Für eine starke Verwundbarkeit spricht etwa ein hoher Anteil an befristet Beschäftigten, Teilzeitarbeitern und Selbständigen oder eine hohe Konzentration an Arbeitsplätzen in kleinen Unternehmen und in Branchen, die in besonderem Maß von den Auswirkungen des Ausbruchs von Sars-CoV-2 betroffen sind. Wie etwa in den Ländern Südeuropas, die vor allem in den Sommermonaten sehr stark vom Tourismus abhängen. Risikofaktor TourismusDie Tourismusbranche ist ein klassisches Gebiet für Saisonarbeiter. Hier stehen insbesondere Italien und Spanien im Fokus. In Italien steht der Tourismus für einen Umsatz von 270 Mrd. Euro, was einem Anteil von 15 % am Bruttoinlandsprodukt (BIP) entspricht. Italiens Gastronomieverband Fipe schätzt die coronabedingten Verluste bis Juni, wenn Cafés, Konditoreien und Restaurants wieder für Besucher öffnen dürfen, auf 34 Mrd. Euro. Bis dahin könnten 50 000 Betriebe schließen und 350 000 Menschen ihren Job verlieren. In Spanien steht der Tourismus für einen BIP-Anteil von etwas mehr als 12 %. Spaniens Tourismusverband Exceltur hat errechnet, dass 2020 der Tourismus 92,5 Mrd. Euro weniger verdienen wird als im Vorjahr – das ist ein Rückgang von 61 %.Die Teilzeitarbeit, die im vergangenen Jahrzehnt bedeutender geworden ist, insgesamt zu bewerten, ist schwieriger. Denn darunter fällt zwar die politisch erwünschte verstärkte Arbeitstätigkeit von Müttern neben der Kindererziehung – aber eben auch prekäre Zweit- und Drittjobs und damit ein Symptom einer zyklisch schwachen Wirtschaft. Während letzteres Phänomen in Spanien und Italien weit verbreitet ist, finden sich auf dem deutschen Arbeitsmarkt eher die arbeitenden Mütter. Frauen, die in einer Partnerschaft leben und mindestens ein Kind haben, sind hierzulande immer öfter berufstätig. Ihr Anteil ist zwischen 2008 und 2018 von 69 % auf 78 % gestiegen. Selbständige unter DruckIn Großbritannien hingegen sind es mit 15 % der Gesamtbeschäftigten die Selbständigen, die Experten Sorgen bereiten – zumal 75 % von ihnen im Dienstleistungssektor tätig sind, wie es in einer Studie der Deutschen Bank heißt. Selbständige und kleine Unternehmen verfügen zumeist nur über ein geringes Liquiditätspolster, um einen längeren Lockdown unbeschadet überbrücken und an einem langsamen Anlaufen der Lieferketten wieder schnell partizipieren zu können.Aber auch die Altersstruktur der Beschäftigten ist ein wichtiger Faktor: Ältere Arbeitnehmer leiden häufiger als jüngere Kollegen unter gesundheitlichen Einschränkungen. Sie können in der Coronakrise unter Risikogesichtspunkten nicht so schnell an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Dies könnte insbesondere in Italien und Großbritannien ein Problem darstellen.