Parlamentswahl

Frankreich droht die Zerreißprobe

Die Schlappe für die Regierungsallianz von Präsident Emmanuel Macron fiel stärker als erwartet aus, während der rechtsextreme Rassemblement National überraschend gut abgeschnitten hat. Für Macron wird es sehr viel schwieriger werden als bisher, Reformprojekte durchzusetzen.

Frankreich droht die Zerreißprobe

wü Paris

Die Regierungsallianz von Emmanuel Macron hat bei den französischen Parlamentswahlen einen größeren Rückschlag erlitten als zunächst erwartet. Nach der zweiten Wahlrunde am Sonntag hat sie die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verloren. Statt der dafür erforderlichen 289 Sitze kam sie auf gerade mal 245 Sitze. Die letzten Prognosen hatten noch etwas mehr Zuversicht verbreitet. Während seiner ersten Amtszeit hatte der Präsident der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone sein Reformprogramm noch mit einer komfortablen absoluten Mehrheit mit 309 Abgeordneten mit der Regierungspartei La République en Marche vorantreiben können. In seiner zweiten Amtszeit muss er nun mit deutlichem Gegenwind für seine Projekte rechnen, vor allem für die von ihm geplante Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 oder 65 Jahre und Maßnahmen gegen die Inflation.

RN übertrifft Erwartungen

Das von Jean-Luc Mélenchon an­geführte Linksbündnis Nupes (Nouvelle Union Ecologique et Sociale) ist mit 131 Sitzen stärkste Oppositionsfraktion, obwohl es ebenfalls deutlich hinter den Prognosen zurückblieb. Dagegen konnte der rechtsextreme Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen die Erwartungen mit 89 Sitzen übertreffen und so sogar die konservativen Republikaner überholen. Die Partei von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, die während der ersten Amtszeit Macrons mit 113 Sitzen noch stärkste Oppositionspartei war, erhielt diesmal nur 61 Sitze. Die Wahlbeteiligung betrug gerade mal 46,3%. Um Gesetzentwürfe durchsetzen zu können, müsste sich die Regierungsmehrheit die Unterstützung entweder der Republikaner oder der sozialistischen Ab­geordneten sichern, die sich im Gegensatz zu ihrer Partei nicht dem Linksbündnis Nupes angeschlossen haben.

„Vernichtenden Niederlage“, titelte die Wirtschaftszeitung „Les Échos“. Frankreich sei blockiert und unregierbar, urteilt sie. Die Regierungsallianz Ensemble sei zwischen einer radikalen Linken und dem RN eingeklemmt, der für eine Überraschung gesorgt habe und die rechte Flanke stärke. In der Nationalversammlung bahnt sich nun ein erbitterter Kampf um den Vorsitz der einflussreichen Finanzkommission an. Seit der Verfassungsänderung von 2008 erhält die Opposition den Vorsitz, wobei der oder die Vorsitzende nicht unbedingt von der stärksten Oppositionsfraktion gestellt werden muss.

Der rechtsextreme RN hat bereits Anspruch auf den Posten erhoben. Er beansprucht für sich die Rolle als stärkste Oppositionspartei, da Nupes aus verschiedenen Parteien besteht: Der linkspopulistischen La France Insoumise (LFI) von Mélenchon (72 Sitze), den Sozialisten (26 Sitze), den Grünen (23 Sitze) und den Kommunisten (12 sitze). Es sei normal, dass sie als wichtigste Oppositionspartei dieses Amt bekomme, erklärte RN-Sprecher Philippe Ballard gegenüber dem Radiosender „Franceinfo“. Man habe die Forderung gehört, entgegnete Regierungssprecherin Olivia Grégoire auf „France Inter“. Laut Verfassung gehe der Posten an eine Gruppe der Opposition, es sei jedoch nicht klar, an welche.

Misstrauensantrag läuft

Das Linksbündnis Nupes lieferte einen weiteren Vorgeschmack, welche Spannungen Frankreich nun drohen. LFI kündigte am Montag an, Anfang Juli einen Misstrauensantrag gegen die Regierung stellen zu wollen. Premierministerin Elisabeth Borne könne nicht Regierungschefin bleiben, erklärte der LFI-Abgeordnete Eric Coquerel. Die Kommunisten wollen den Misstrauensantrag ihres linkspopulistischen Bündnispartners unterstützen. Zwar gilt es als un­wahrscheinlich, dass der Misstrauensantrag Erfolg haben wird, doch fragen sich französische Kommentatoren bereits, ob Borne als Regierungschefin haltbar ist. Drei Regierungsmitglieder wurden in der Stichwahl geschlagen und müssen nun die Regierung verlassen: die Ministerin für den ökologischen Wandel, Amélie Montchalin, Gesundheitsministerin Brigitte Bourguignon und Meeresstaatssekretärin Justine Bénin.

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