DIE NEUE LUST AM SOZIALISMUS

Geheimwaffe Verstaatlichung

Die öffentliche Hand soll in der Rolle des Unternehmers gleich eine Vielzahl politischer Probleme lösen

Geheimwaffe Verstaatlichung

Der Ruf nach Verstaatlichung in Deutschland scheint nicht zu verstummen. Für eine Vielzahl von Problemen soll dieser Schritt herhalten: für den Klimaschutz, gegen Wohnungsnot oder soziale Ungleichheit. Dabei hat der Bund als Unternehmer alle Hände voll zu tun, seine Beteiligungen überhaupt zu kontrollieren. Von Angela Wefers, Berlin In der Debatte über den Kampf gegen den Klimawandel forderte Linken-Parteichef Bernd Riexinger in diesen Tagen: “Fluggesellschaften gehören in staatliche Hand.” Auch die Energieversorgung und die Bahn will er gleich mit unter staatlicher Kontrolle stellen, um das Klima zu retten. Verstaatlichung als Lösungskonzept wird aber auch von anderen für weitere politische Problemfelder aus dem Hut gezaubert.Bezahlbaren Wohnraum in der Hauptstadt Berlin will der rot-rot-grüne Senat nicht nur durch einen staatlichen Eingriff in die Eigentumsrechte sichern, indem er einen fünfjährigen Mietstopp verhängte. Er kaufte auch gleich selbst Wohnungen einem Immobilienkonzern vor der Nase weg. Zudem träumt so mancher in der Hauptstadt noch von der Enteignung der Immobilienfirmen. Traum von der Kollektivierung Auch Juso-Chef Kevin Kühnert gehört dazu. Private Vermieter – als größter Anbieter von Wohnraum – will er im Optimalfall überhaupt nicht mehr haben. Kühnert, der Chancen hat, in die neue SPD-Führung aufzurücken, will überdies mit der Kollektivierung von Konzernen wie BMW den Kapitalismus ganz überwinden. Er hofft dadurch auf eine bessere Vermögensallokation als nach dem Prinzip Rendite- und Risikobereitschaft. Die Verteilung der “Profite” muss aus seiner Sicht “demokratisch kontrolliert” werden.Erfüllt das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nach 70 Jahre Praxis nicht mehr die Versprechen von Wohlstand für alle, von Teilhabe und Aufstiegsmöglichkeiten? Fünf SPD-Bundestagsabgeordnete, Mitglieder im Finanz- und Haushaltausschuss, haben ihre Zweifel und fordern eine neue Wirtschafts- und Finanzpolitik. In einem Gastbeitrag in der FAZ plädierten jüngst Wiebke Esdar, Cansel Kiziltepe, Sarah Ryglewski, Michael Schrodi und Swen Schulz dafür, die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten in Unternehmen auszubauen und andere Eigentumsformen jenseits des Privateigentums zu schaffen. Der Staat solle aktiv unterstützen, wenn “neue Verfahren erfolgreichen Wirtschaftens ausprobiert und praktiziert” würden. Die Daseinsvorsorge wollen sie aus der “Marktlogik” befreien und “Gewinne von Spekulanten” deckeln. Zur Daseinsvorsorge zählen die SPD-Politiker Straße und Schiene, Wasser, Strom, Internet, eine wohnortnahe Gesundheitsversorgung und den Wohnungsmarkt.Die Forderung nach Umkehr folgt unter anderem der Feststellung einer wachsenden sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft. Der unabhängige Sachverständigenrat für Wirtschaft hatte diese These bereits in seinem Jahresgutachten Ende 2017 analysiert und sich ihr entgegengestellt. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass im Ungleichheitsdiskurs “die Wahrnehmung in mancherlei Hinsicht von der tatsächlichen Situation abweicht”. Die Nettoeinkommensverteilung sei seit 2005 relativ stabil. Auch eine zunehmende Ungleichheit der Nettoeinkommen zwischen Bevölkerungsgruppen – gemessen an Alter, Geschlecht, Bildung und Migrationshintergrund – lässt sich laut Rat nicht belegen. Das Steuer- und Transfersystem verteile in hohem Maß um. Das Armutsrisiko von Rentnern werde überschätzt, das von Kindern sei das drängendste Problem. Der Sachverständigenrat empfiehlt deshalb nicht mehr Umverteilung, sondern bessere Bildungsangebote und frühkindliche Förderung, um die Chancengerechtigkeit für Kinder aus weniger gebildeten Familien zu erhöhen. Als Unternehmer gefordert Welche Folgen hat Verstaatlichung? Als Unternehmer ist der Staat durchaus gefordert. In diesem Frühjahr kündigte das Bundesfinanzministerium Pläne zu einer Reform des Beteiligungsmanagements an, nachdem der Rechnungshof Ende 2016 moniert hatte, es fehle an Erfolgskontrolle bei den Bundesbeteiligungen sowie häufig an Zielvereinbarungen mit den Geschäftsführern. Um die von verschiedenen Ministerien geführten Beteiligungen überblicken zu können und die Erfolgskontrolle stärker zu standardisieren, führt der Bund nun ein IT-gestütztes ressortübergreifendes Beteiligungs-, Monitoring- und Informationssystem ein. Das erste Release soll 2020 in den Regelbetrieb gehen.Neuesten Zahlen zufolge hielt allein der Bund Ende 2017 unmittelbar 109 Beteiligungen und mittelbar 553. Dazu gehören börsennotierte Unternehmen wie die Telekom und die Post, Flughafengesellschaften oder die Bahn. Nachweisen muss der Bund mit der Reform des Beteiligungsmanagements nun dezidiert das “Bundesinteresse” an jeder seiner Firmen. Künftig muss es konkreter ausformuliert und regelmäßig überprüft werden. Denn nach Bundeshaushaltsordnung ist eine Beteiligung nur zulässig, wenn sich das Bundesinteresse nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen lässt – bislang jedenfalls.