Gekaufter Einfluss
Die Demokratien sind aufgewacht: Am vergangenen Wochenende haben die EU und Indien eine „Konnektivitätspartnerschaft“ für gemeinsame Investitionen in Infrastruktur in Afrika und Asien verabredet. Drei Wochen zuvor schlossen die USA und Japan eine ähnliche Vereinbarung. Beim G7-Gipfel im Juni könnten weitere Abmachungen folgen. Damit wird die Finanzierung von Infrastruktur zum neuen Werkzeug im globalen Wettbewerb der Demokratien mit der Autokratie in Peking. Für Schwellenländer gibt es nun neue attraktive Alternativen zu Chinas Belt-and-Road-Initiative.
Die Gegenoffensive ist überfällig. Allzu lange haben die USA, die EU, Japan und Indien die eindeutig strategischen Absichten hinter der „Neuen Seidenstraße“ ignoriert. Unter diesem Label finanzieren chinesische Staatsbanken in vielen Staaten Autobahnen, Bahnlinien, Brücken, Häfen, Kraftwerke, Strom- oder Digitalnetze. Die Projekte dienen China in mehrfacher Hinsicht: Sie generieren Umsätze für chinesische Unternehmen und schaffen während des Baus Arbeitsplätze für Chinesen. Vor allem entsteht ein weltweites Netz von Stützpunkten für Handel und Verteidigung. Peking nutzt den gewaltigen Infrastrukturbedarf von aufstrebenden Staaten, um sich direkten Einfluss auf Regierungen zu kaufen, die Versorgung seiner Wirtschaft mit wichtigen Rohstoffen zu sichern und neue Märkte für eigene Dienste und Waren zu erschließen.
Mit ähnlichen Absichten leisteten der Westen und Japan in der Vergangenheit „Entwicklungshilfe“ für Schwellenländer in Form von Geschenken, Hilfen zur Selbsthilfe und zinsgünstigen Darlehen. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion ließen diese Anstrengungen der demokratischen Länder jedoch nach. In diese Lücke ist China mit großer Effizienz hineingestoßen. Mit ihren jetzigen Initiativen reagieren der Demokratien jedoch nicht nur auf Chinas Weltmachtansprüche, sondern auch auf die Globalisierung. Denn eine gute Infrastruktur in Schwellenländern stärkt die Resilienz der weltweiten Lieferketten und erhöht die Erfolgschancen von privaten Direktinvestitionen.
Doch die Demokratien sollten sich keinen Illusionen hingeben. Auch wenn sie fairere Kreditkonditionen offerieren, sei es bei Laufzeit, Zins oder Sicherheiten, und ihre Projekte die Umwelt weniger schädigen und ökonomisch nachhaltiger wirken, müssen sie nicht unbedingt zum Zug kommen. Denn China verfügt über gewichtige Vorteile bei der Finanzierung. Erstens hat sich Peking einen enormen Vorsprung an Erfahrung und Routine erarbeitet. Über 150 Staaten und Organisationen gehören der Belt-and-Road-Initiative inzwischen an. Zweitens wickelt China ein Projekt aus einer Hand ab, während die Demokratien wegen ihrer Paktvielfalt ihr Vorgehen im Einzelfall untereinander absprechen müssen.
Drittens verfügt China – anders als früher die Sowjetunion – über fast unbegrenzte Mittel. Die Kredite für Belt-and-Road-Projekte laufen über Staatsbanken, die sich darauf verlassen können, im Krisenfall gerettet zu werden. Dagegen setzen die Demokratien in ihrer Finanzierung auf eine Mischung von privaten und öffentlichen Geldern. Doch Privatkapital findet bessere Anlagemöglichkeiten als Bahnen und Brücken in Schwellenländern. Es verwundert daher nicht, dass die vor zwei Jahren geschlossene Infrastrukturvereinbarung zwischen Japan und der EU bisher zu keiner einzigen Projektfinanzierung geführt hat. Und viertens verfolgt Chinas nationalistisch motivierte Führung die Vision einer sinozentrischen Welt, während die losen Bündnisse von Demokratien im Westen und in Asien nur über einen schwachen ideologischen Antrieb verfügen.
Daher wäre der Westen gut beraten, auf den direkten Finanzierungswettbewerb mit China zu verzichten. Eher sollte man supranationale, politisch recht neutrale Kreditgeber wie die Asian Development Bank mit mehr Kapital ausstatten. Auch über einen Einstieg bei der von China lancierten Asian Infrastructure Investment Bank ließen sich die Ziele des Westens durchaus verfolgen – getreu dem chinesischen Sprichwort: Wer seinen Feind nicht besiegen kann, sollte ihn umarmen. Selbst gemeinsam finanzierte Projekte sollten nicht tabu sein – Japan hat eine solche Verabredung mit China schon getroffen. Dahinter steckt letztlich die kluge Einsicht, dass Infrastrukturkredite sich als effektive Waffe gegen die Hegemonieansprüche einer aufstrebenden Großmacht nur begrenzt eignen.