JSA24Wie G20 und G7 wirken

Globale Koordination in einer Welt in Unordnung

Die G20 und G7 stehen vor geopolitischen Herausforderungen. Ihre Koordination ist problematisch. Die Mechanismen zeigen sich aber flexibel und anpassungsfähig.

Globale Koordination in einer Welt in Unordnung

Globale Koordination
in einer Welt in Unordnung

Wie Russland die G20 belastet und die G7 ihre Fühler ausstreckt.

Von Angela Wefers, Berlin

Nach dem Fall des eisernen Vorhangs ist die Welt in Unordnung geraten. Die Teilung in Ost und West während des kalten Krieges ist einer multipolaren Ordnung gewichen, die noch ihr Gleichgewicht sucht. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine bangt der Westen nicht mehr nur um seinen Einfluss, sondern auch um seine Sicherheit.

Die Gefüge zur Koordination des internationalen Finanz- und Wirtschaftssystems, für globale Ordnungspolitik und Regulierung sehen sich vor Herausforderungen. Die G20, die Gruppe der führenden Industrie- und Schwellenländer, und die G7, die Gruppe der westlichen Industrieländer, müssen sich neu sortieren. Ihre Wirkungsmechanismen sind unter Druck. Bislang erweist sich das System der Koordination aber als flexibel, um auf neue Umstände zu reagieren.

Die G20 wurde 1999 gegründet – zunächst auf der Ebene der Finanzminister. Ihren Aufschwung nahm sie erst in der Finanzkrise 2008/2009. Spätestens da wurde klar, dass die enge Vernetzung des weltweiten Finanzsystems auch einer engen Abstimmung der Staats- und Regierungschefs bedurfte. War es bis dahin eher höfliche Einsicht auf Seiten der Industrieländer, dass sie nicht mehr allen den Ton in der Welt vorgeben können, wurde die Suche nach einem Krisenmechanismus nun in der größeren Runde für alle Überlebensnotwendig.

Problemfall Russland

Die G20 ist keine festes Gebilde. Mittlerweile ist sie zur G21 oder G19+2 gewachsen. Sie steht für mehr als 85% Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, drei Viertel des Welthandels und rund zwei Drittel der Weltbevölkerung. Die Gruppe umfasst zum einen die seit 1976 als G7-Länder tagende Gruppe aus den USA, Kanada, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Russland hatte die G7 knapp eine Dekade nach dem Tauwetter 1998 zur G8 erweitert. Dies endete jedoch 2014 abrupt nach der Annexion der Krim.

Russland ist aber weiterhin Mitglied der G20 – ein Umstand der einen Konsens seit dem Überfall auf die Ukraine deutlich erschwert und die G20 in ihrer Funktionsweise erschüttert. Zur G20 gehören zudem die sogenannten Outreach-Länder (O5), also jene Schwellenländer, die schon von 2005 bis 2008 bei den G7-Treffen dabei waren: das zur Industriemacht aufgestiegene China sowie Indien, Südafrika, Brasilien und Mexiko. Weitere G20-Partizipanten sind Argentinien, Australien, Indonesien, Südkorea und die Türkei.

Geopolitische Spannungen

Das 20. Mitglied ist eine Ländergruppe: die Europäische Union. 2023 wurde die Afrikanische Union als neues Mitglied aufgenommen. Regelmäßige Gäste der G20 sind die globalen Institutionen aus dem Finanz- und Wirtschaftsbereich wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank, das Financial Stability Board (FSB) oder die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Die geopolitischen Spannungen belasten die G20. Im November beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Rio de Janeiro blieb das Kommuniqué zum Urteil über Russlands Rolle als Aggressor im Krieg in der Ukraine hinter der bisherigen Formulierung zurück.

Die brasilianische Präsidentschaft hatte die Formulierung stark abgeschwächt, weil sich die G20-Teilnehmer unter Beteiligung Russlands nicht hatten einigen können, die Föderation klar als Verantwortlichen für diesen Krieg zu benennen. In Deutschland wurde dies kritisch gesehen. „Der Wind, der in den internationalen Beziehungen weht, wird rauer“, konstatiert Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Immerhin kam im Herbst wieder ein Kommuniqué zustande. In den ersten internationalen Treffen nach dem Einfall Russlands in die Ukraine waren die Repräsentanten unsicher, wie sie sich in der neuen Lage begegnen sollten. Als bei der Frühjahrstagung 2022 des IWF der russische Vertreter das Wort ergriff, verließen westliche Spitzenvertreter demonstrativ den Saal: Kanadas Finanzministerin Chrystia Freeland, deren Großeltern aus der Ukraine stammen, postete ein Foto mit Gleichgesinnten: darunter US-Finanzministerin Janet Yellen, EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Bundesbankpräsident Joachim Nagel. Bei späteren Treffen im Jahr setzte sich die Einsicht durch, dass, wer der Saale verlässt, auch keine Widerrede führen kann.

Kreative in der Krise

Weil Russland den Konsens zu Kommuniqués oder gemeinsamen Beschlüssen blockiert, wurden neue Formen ersonnen: Statt einer Abschlusserklärung lieferten die internationalen Gremien etwa eine „Zusammenfassung“ ihres Vorsitzes ab. Zumindest konnte damit Sprachlosigkeit überwunden werden. Eine noch andere Form fand die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU), als der frisch amtierende US-Präsident Donald Trump G20-Vereinbarungen zu Klimaschutz nicht mittragen wollte. Im Kommuniqué bekennen sich 19 Mitglieder zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Zugleich nehmen sie die Ankündigung der USA zur Kenntnis, aus dem Abkommen auszusteigen. Die Abschlusserklärung war damit gerettet.

Wegen der schwierigen Lage der G20 hat die G7 als Koordinationsforum der westlichen Wertegemeinschaft wieder mehr Bedeutung gewonnen. Die Finanzminister tagen regelmäßig vertraulich am Rande von G20-Sitzungen und äußern sich in der Regel nicht öffentlich. Nur wenn es etwas zu verkünden gibt, wie zuletzt die Nutzung der Zinsen aus eingefrorenen russischen Vermögen zur Unterstützung der Ukraine, werden solche Treffen bekannt.

Gipfeltreffen der G7-Staats- und Regierungschefs sind indessen telegene Events, in denen sich jeweilige die Präsidentschaft sonnt. Aber sie haben sich auch inhaltlich gewandelt. Die G7 will kein exklusiver Club von wirtschaftsstarken Demokratien bleiben, sondern weiterreichende Beziehungen knüpfen und festigen. So hatte zuletzt Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni zum Gipfel in Apulien im Sommer 2024 Vertreter aus Staaten des sogenannten globalen Südens einladen: aus dem Lateinamerika, aus Afrika und aus Asien. Darunter waren Argentiniens Präsident Javier Milei, dessen brasilianische Amtskollege Luis Inácio Lula da Silva, Jordaniens König Abdallah II., der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohammed bin Zayed, Kenias Präsident William Ruto und Papst Franziskus.

Kraft der Persönlichkeit

Weder die G20, noch die G7 sind institutionell verankert. Ihre Entscheidungen sind nicht rechtswirksam, ihre Resolutionen nur politische Absichtserklärungen. Gesetzeskraft erlangen diese nur, wenn sie die Mitgliedsländer tatsächlich umsetzen. Am Ende hängt die wirksame Koordination von der Kraft der Führungspersönlichkeiten und von der amtierenden Präsidentschaft ab. Für die USA muss sich der Weg unter Präsident Donald Trump erst noch erweisen. 2025 liegen die Präsidentschaften aber erst einmal bei Südafrika für die G20 und Kanada für die G7.


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