Grenzen der britischen Zombiewirtschaft
Eine gewisse Schadenfreude ist schwer zu unterdrücken, wenn man das Geschehen in Westminster verfolgt. Schließlich sind Premierministerin Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng keine Politiker, mit denen man sich einen gemeinsamen Bierabend im nächstgelegenen Pub vorstellen wollte. Ihre volksferne Abgehobenheit wird ihnen zunehmend zum Verhängnis. Doch muss man Ursache und Wirkung unterscheiden. Nicht sie haben die britische Wirtschaft gegen die Wand gefahren. Zu den Verwerfungen, die derzeit an den britischen Finanzmärkten zu beobachten sind, wäre es angesichts steigender Zinsen ohnehin gekommen. Sie hatten nur das Pech, durch ihr ungeschicktes Vorgehen bei der Vorstellung ihres Wachstumsplans den unvermeidlichen Abschwung zu beschleunigen.
Denn irgendwann greift das Gesetz der Schwerkraft. Eine Zombiewirtschaft, deren Wachstum auf steigenden Assetpreisen und schuldenfinanzierten Wohlfahrtsprogrammen beruht, stößt einmal an ihre Grenzen. Die seit Jahren betriebene Politik der immer höheren Staatsausgaben lässt sich nur in einem Nullzinsumfeld aufrechterhalten. Aber das ist nun zu Ende. Denn all das von den westlichen Notenbanken gedruckte Geld will ausgegeben werden und sorgt allerorten für erheblichen Preisauftrieb.
Das ist schade für all die Fahrer geleaster Luxusschlitten und Besitzer von Immobilien, die sich diesen Lebensstil nur leisten können, solange die Zinsen nicht über 1,5 % oder 2,0 % steigen. Doch gibt es keinen Anspruch darauf, sich zum Nulltarif bis zur Halskrause verschulden zu können. Wer Truss und Kwarteng dafür verantwortlich macht, dass die Refinanzierung der eigenen Hypothek deutlich teurer wird, sollte einmal einen Blick über den Atlantik werfen, wo die Hypothekenzinsen ebenso durch die Decke gehen.
Anders als vielerorts berichtet müssen die Briten weder um ihre Rente fürchten, noch hat die Regierung bislang Probleme bei der Schuldenaufnahme. Sie muss nur höhere Zinsen dafür bezahlen. Das Ende September vorgestellte Programm von Truss und Kwarteng enthielt Maßnahmen, die zwar unpopulär, aber alles andere als revolutionär waren. Es handelte sich eher um klassische Ansätze, die Produktion realer Güter und Dienstleistungen anzukurbeln, Leistung zu belohnen und Investitionen anzuziehen. Ihre Steuersenkungen bestehen vor allem aus dem Verzicht auf die von Kwartengs Vorgänger Rishi Sunak geplanten Steuererhöhungen. Ihr Vorbild Margaret Thatcher wäre vermutlich stolz auf sie gewesen.
Wenn eine Mitte-Rechts-Partei wie die britischen Konservativen so etwas nicht umsetzen will, stellt sich die Frage nach ihrer Daseinsberechtigung. Tatsächlich zeigt das britische Parteiensystem Zerfallserscheinungen, wie man sie aus anderen westeuropäischen Ländern kennt. Lange werden die eher sozialliberalen Tories dem Treiben des libertären Flügels, aus dem diese Regierung stammt, wohl nicht zusehen. Dann wäre auch eine Spaltung nicht mehr auszuschließen. Mehr politische Instabilität und damit höhere Finanzierungskosten wären programmiert. Truss und Kwarteng lassen sich aus ihren Ämtern entfernen. Doch führt so schnell kein Weg zurück zur von so vielen Volksvertretern liebgewonnenen Nullzinspolitik.