Konjunktur

Großaufträge bringen Schwung

Die deutsche Industrie verzeichnet im Juli noch einmal ein kräftiges Orderplus – das allerdings vor allem auf Großaufträgen beruht. Der Blick auf die Herkunft der Aufträge verheißt ebenfalls ein Abflachen des Booms.

Großaufträge bringen Schwung

ba Frankfurt

Im Juli haben insbesondere Großaufträge und Bestellungen aus dem Ausland für einen rekordhohen Ordereingang der deutschen Industrie gesorgt. Ökonomen sehen die Luft für die weitere konjunkturelle Erholung mittlerweile aber nach oben begrenzt angesichts wieder steigender Infektionszahlen und der andauernden Materialknappheiten. Auch die Anleger haben ihre Erwartungen sowohl an Deutschland als auch an die Eurozone insgesamt nach unten geschraubt. Dass der Konjunkturmotor in China, das bisher neben den USA als weltweite Wachstumslokomotive fungiert, stottert, verheißt ebenfalls eine nachlassende Wirtschaftsdynamik.

Vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamts (Destatis) zufolge generierte das verarbeitende Gewerbe im Juli 3,4% mehr Neubestellungen als im Vormonat (siehe Grafik). Damit lag das Neugeschäft auf dem höchsten Stand seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1991. Das bisherige Rekordhoch stammt Destatis zufolge vom Dezember 2017. Ökonomen wurden von der Auftragsflut überrascht – sie hatten im Mittel mit einem Rückgang um 0,7% gerechnet. Zudem fiel das Orderplus im Juni höher aus als ursprünglich gemeldet: Destatis revidierte das Plus um 0,5 Prozentpunkte auf 4,6% nach oben. „Wahnsinn“, kommentierte denn auch Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Das Plus zeige, dass die Weltwirtschaft den Sommer über noch immer im Nach-Corona-Aufholprozess war.

Allerdings, so erklärte auch das Bundeswirtschaftsministerium, ha­ben erneut vor allem die Großaufträge für Schwung gesorgt – ohne diese volatile Größe sank das Bestellvolumen um 0,2%. Vor allem im Schiffbau, so schreibt Gitzel, stiegen die Bestellungen kräftig. Laut Bundeswirtschaftsministerium legte vor allem das Ordervolumen im Maschinenbau erneut zu (+1,8%), wohingegen es im ebenfalls gewichtigen Kfz-Bereich nach einem merklichen Zuwachs im Vormonat rückläufig war (–4,3%). Aber auch die Hersteller pharmazeutischer Erzeugnisse bekamen mehr Neuaufträge. „Damit zeigt sich einmal mehr, dass der Auftragsboom der deutschen Industrie mehr und mehr an Fahrt verliert“, kommentierte Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen mit Blick auf die Großaufträge. Angesichts des inzwischen erreichten Niveaus der Auftragseingänge sei dies kaum verwunderlich. Dies zeigt auch der Vergleich mit Februar 2020, dem Monat vor dem Beginn der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie: In dieser Betrachtung lag der Auftragseingang im Juli saison- und kalenderbereinigt 15,7% höher. Im Vorjahresvergleich ergibt sich ein Plus von 24,4%. Allerdings war der Auftragseingang im Juli 2020 noch von der Pandemie beeinträchtigt, wie Destatis einschränkt. Damals ergab sich ein Minus zum Juli 2019 von 6,4%.

Einig sind sich die Ökonomen, dass der Blick auf die Herkunft der Aufträge ebenfalls zur Vorsicht mahnt. So hat vor allem die starke Auslandsnachfrage (+8,0%) für Schwung gesorgt, insbesondere aus den Ländern aus dem Nicht-Euroraum (+15,7%). Hier sei „die Aufwärtsbewegung in den vergangenen Monaten praktisch zum Stillstand gekommen, was zu einem beträchtlichen Teil an einer weniger dynamischen Nachfrage aus China liegen dürfte“, mahnte Commerzbank-Ökonom Solveen. Zudem müsse man gerade im Euroraum inzwischen eher von einer Seitwärtsbewegung als von einer Aufwärtstendenz sprechen.

Sorgen bereitet der Materialmangel, der sich zuletzt jüngsten Ifo-Zahlen zufolge noch verschärft hat: „Man könnte sagen: Alle Welt braucht deutsche Waren, aber Deutschland kann nicht liefern“, sagte Jens-Oliver Niklasch von der LBBW. Gemessen an den um 1,9% gestiegenen Umsätzen, die eine hohe Korrelation mit der Produktion aufweisen, wird die Produktion im Juli zugelegt haben. Destatis legt die Produktionsdaten am heutigen Dienstag vor. Erwartet wird gemeinhin ein Plus von 0,6% im Juli nach –1,3% im Vormonat. Eine Wende zum Besseren, so warnt Solveen, sei dies aber nicht.

Anleger sehen der monatlichen Sentix-Umfrage zufolge den Zenit des konjunkturellen Aufholprozesses hierzulande als überschritten an. „Nun stellt sich die Frage, ob wir nur ein Durchatmen oder eine Wende einleiten“, sagte Sentix-Geschäftsführer Manfred Hübner. Dies gilt auch für Euroland: Während „die Lagebeurteilung auf hohem Niveau verharrt“, ist die Erwartungskomponente zum vierten Mal in Folge gesunken. Auch für die Weltwirtschaft stünden die Zeichen auf eine Wachstumsverlangsamung in der Mitte des Zyklus, vor allem in der Region Asien ex Japan.

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