Großbritannien bleibt geöffnet
hip London
Die britische Regierung will auf die rekordhohe Zahl von Sars-CoV-2-Neuinfektionen zunächst nicht mit weiteren Restriktionen reagieren. „Wer glaubt, unsere Schlacht mit Covid sei vorbei, liegt leider grundsätzlich falsch“, sagte Premierminister Boris Johnson auf einer Pressekonferenz am Dienstagnachmittag. Aber die Position, in der sich das Land befinde, unterscheide sich in zwei wesentlichen Aspekten von den vorangegangenen Wellen. „Wir wissen jetzt, dass Omikron mild verläuft“, sagte Johnson. Es gebe nicht so hohe Zahlen von Patienten auf den Intensivstationen wie bei früheren Wellen. „Dank der Anstrengungen, Großbritannien zu boostern, haben wir ein wesentliches Schutzniveau, höher als alle unsere europäischen Nachbarn“, fügte er hinzu.
Wette auf den Impfstoff
Großbritannien hat bei den Booster-Impfungen rechtzeitig einen Gang hochgeschaltet (siehe Grafik). Johnson hatte nach heftiger Kritik an den von ihm unter der Überschrift „Plan B“ eingeführten Coronarestriktionen aus den eigenen Reihen voll auf den Erfolg der Impfkampagne gesetzt und – anders als Wales und Schottland – für England keine zusätzlichen Ausgangsbeschränkungen über Weihnachten und Neujahr verhängt. Mittlerweile hat im Vereinigten Königreich bereits die Hälfte der Bevölkerung eine dritte Impfdosis erhalten. In Deutschland sind es knapp zwei Fünftel.
Der Erfolg war keinesfalls vorprogrammiert: Nachdem Johnson den für die Impfkampagne zuständigen Staatssekretär Nadhim Zahawi im September zum Bildungsminister gemacht hatte, war das Thema vorübergehend verwaist. Der National Health Service (NHS) machte sich daran, die während der Lockdowns angeschwollenen Wartelisten für Behandlungen aller Art abzuarbeiten. Allgemeinmediziner widmeten sich lange nicht gesehenen Patienten und waren zunächst wenig interessiert, sich für Booster-Impfungen einspannen zu lassen. Wieder musste das Militär die Verteilung des Impfstoffes übernehmen, weil die Gesundheitsbürokratie dazu nicht in der Lage war.
Doch die Wirksamkeit der anfangs schleppend verlaufenen Impfkampagne zeigt sich darin, dass die Zahl der Krankenhauseinlieferungen auch nicht annähernd so stark gestiegen ist wie die Zahl der positiven Testergebnisse. Am Dienstag wurden erstmals mehr als 200000 für einen Tag gemeldet. Die Zahl der Todesfälle innerhalb von 28 Tagen nach einem positiven Test wurde von der UK Health Security Agency (UKHSA) mit 48 angegeben.
„Wir haben eine Chance, diese Omikron-Welle durchzustehen, ohne das Land erneut stillzulegen“, sagte Johnson. „Wir können unsere Schulen und Betriebe offenhalten und einen Weg finden, mit diesem Virus zu leben.“ Der Druck auf den NHS sei offenkundig nicht so stark wie im Januar 2021. Allerdings stünden schwierige Wochen bevor, sowohl in Großbritannien als auch im Rest der Welt.
Derzeit legt sich das Land durch Vorgaben zum Umgang mit dem Virus still, die dem milderen Verlauf bei Ansteckung mit der neuen Variante noch nicht Rechnung tragen. Immerhin ermöglichte Gesundheitsminister Sajid Javid bereits im Dezember positiv Getesteten, die sich bislang zehn Tage lang isolieren mussten, ihre Quarantäne zu beenden, sollten sie bei Schnelltests am sechsten und siebten Tag ein negatives Ergebnis erhalten. Einer Verkürzung auf fünf Tage erteilte UKHSA jedoch eine Absage. Damit dürfte die Diskussion, die auch in anderen europäischen Ländern geführt wird, jedoch keinesfalls beendet sein. Weil Omikron hochansteckend ist, gehen immer mehr Mitarbeiter kritischer Dienstleistungsbetriebe in Quarantäne. Davon sind Verkehrsbetreiber ebenso betroffen wie Polizei, Post, Müllabfuhr und das öffentliche Gesundheitswesen. Bei manchen NHS Trusts ist einer von vier Mitarbeitern abwesend. Man sei dabei, die am schwersten betroffenen Trusts zu identifizieren, um ihre Unterstützung durch das Militär vorzubereiten, sagte Johnson. Mehr als 100000 „Schlüsselmitarbeiter“ sollen ab Montag täglich Schnelltests erhalten. Derzeit herrscht in Großbritannien ein akuter Mangel an Coronatests.