Trotz Pandemie

Großbritannien überrascht positiv

Die britische Wirtschaft hat im Juni wieder Fahrt aufgenommen. Noch hängt allerdings viel vom Ausgabeverhalten der öffentlichen Hand ab. Unternehmen halten sich mit Investitionen weiterhin zurück.

Großbritannien überrascht positiv

hip London

Die britische Wirtschaft ist im Juni stärker gewachsen als erwartet. Wie das Statistikamt ONS am Donnerstag mitteilte, expandierte das Bruttoinlandsprodukt um 1,0 % und ist damit nur noch 2,2% vom vor Beginn der Coronavirus-Pandemie erreichten Niveau entfernt. Volkswirte hatten im Schnitt lediglich ein Plus von 0,8% auf der Rechnung. Schatzkanzler Rishi Su­nak wertete die Daten als Beleg dafür, dass „unser Plan funktioniert“. Großbritannien zeige unter den G7-Ländern das stärkste Wachstum. Im zweiten Quartal belief sich das Wachstum der Erstschätzung der Statistiker zufolge auf 4,8%.

Unterschiedliche Berechnung

Allerdings spielten bei der positiven Überraschung im Juni öffentliche Dienstleistungen wie das Bildungs- und Gesundheitswesen eine große Rolle. Die Impfkampagne und das Coronatest- und Kontaktverfolgungsprogramm des National Health Service (NHS) leisteten einen signifikanten Wachstumsbeitrag. Im Juni nahm auch die Zahl der Hausarztbesuche deutlich zu. Großbritannien misst diese Leistungen anders als Statistiker in anderen Ländern.

Nach Schätzung von S&P Global Ratings hätte das Wachstum im Pandemiejahr 2020 um 1 bis 3 Prozentpunkte höher – und damit in der Nähe anderer europäischer Staaten – gelegen, würden sich die ONS-Statistiker vergleichbarer Methoden be­dienen. Im Aufschwung wirkt sich ihr Vorgehen nun verstärkend aus. Das ONS räumt ein, dass es „ein paar Probleme bei der internationalen Vergleichbarkeit“ gibt, stellt seinen Daten aber dennoch gerne die Zahlen anderer Länder gegenüber (siehe Grafik). Robert Wood, Volkswirt für Großbritannien bei der Bank of America, führt vier Fünftel des Wachstums im Juni auf Staatsausgaben und das Gastgewerbe zurück.

Insgesamt steht im zweiten Quartal nun ein Plus von 4,8% zu Buche. Während die Unternehmensinvestitionen nur um 2,4% zulegten, stiegen die Konsumausgaben der privaten Haushalte um 7,3% und die Ausgaben der öffentlichen Hand um 6,1%. Der Konsum von Bildungsdienstleistungen stieg nach Wiedereröffnung der öffentlichen Schulen um 27%, nachdem er im von einem landesweiten Lockdown geprägten Auftaktquartal um 13% zurückgegangen war. Im Juli dürfte sich das Wachstumstempo vor dem Hintergrund steigender Neuinfektionen wieder verlangsamt haben. Die NHS-Kontaktverfolgungsapp sorgte für eine „Pingdemie“ – zahllose Arbeitnehmer wurden aufgefordert, sich in Selbstisolation zu begeben. Wood senkte seine Schätzung für das Wachstum im laufenden Quartal von 3,0% auf 2,5%. „Die großen Zugewinne des Gastgewerbes durch die Wiedereröffnung liegen hinter uns“, schrieb er in einer ersten Einschätzung. Auch der Beitrag des Coronatest- und Kontaktverfolgungsprogramms dürfte seiner Meinung nach zurückgehen. Wenn es Hemmnisse für die wirtschaftliche Erholung des Landes gebe, dann auf der Angebotsseite, nicht auf der Nachfrageseite, schrieb HSBC-Volkswirtin Elizabeth Martins. Auch sie hält es für möglich, dass im Juli etwas Schwung verloren geht. Allerdings sei die Zahl der Neuinfektionen und der „Pings“ zuletzt wieder gesunken. Und ab dem 16. August müssten sich Geimpfte nicht mehr in Quarantäne begeben.

Mittlerweile haben ONS-Daten zu den Auswirkungen der Pandemie zufolge 89% der britischen Betriebe wieder geöffnet. Im Januar waren es erst 71%. Nur noch 4% der Erwerbstätigen waren für das Coronavirus Job Retention Scheme angemeldet – eine britische Variante der Kurzarbeit. Zu Jahresbeginn waren es noch 20%. Die Zahl der Firmen, die angaben, weniger als gewöhnlich umzusetzen, ging von 65% im Juni 2020 auf 29% zurück.