IM INTERVIEW: STEFAN SCHNEIDER

Handelsstreit führt zu Bremsspuren

Wachsendes Risiko für die Weltwirtschaft - An Italiens Etatdisziplin hängt das Schicksal des Euro

Handelsstreit führt zu Bremsspuren

In Deutschland hinterlässt der internationale Handelsstreit erste wirtschaftlich Bremsspuren, konstatiert Stefan Schneider. Eine weitere Eskalation weltweit würde auch Kapitalströme und Wechselkurse empfindlich beeinträchtigen. Im Interview äußert sich Schneider auch zur Lage in Europa und den USA. – Herr Schneider, wir leben in einer Zeit zunehmender Handelskonflikte. Wie wird sich dies auf die Weltwirtschaft auswirken?Eine konkrete Bewertung ist derzeit noch schwierig, aber der Rückgang der Exporteinschätzung im globalen Einkaufsmanagerindex um gut 4 Punkte seit Jahresbeginn auf zuletzt unter die Expansionsschwelle ist ein deutliches Signal. Das Risiko, dass die Handelskonflikte zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Weltwirtschaft führen, ist deutlich gestiegen. Auch deshalb, weil sich bei einer weiteren Eskalation die Konflikte längst nicht nur auf Zölle und den Warenverkehr begrenzen lassen. Vielmehr würden auch die Kapitalströme und die Wechselkurse empfindlich beeinträchtigt. Ernsthafte Gefahren sehen wir ferner in Störungen der weltweit vernetzten Produktionsketten. Hier entstehen deutlich höhere Kosten. Zum Teil werden Investitionen und Produktionskapazitäten unrentabel.- Wie wirkt der Handelskonflikt auf die deutsche Wirtschaft?In Deutschland, das besonders eng in den weltweiten Warenhandel und in internationale Produktionsketten eingebunden ist, hat die in den letzten Monaten stark gestiegene Unsicherheit zu einer Zurückhaltung bei den Investitionen geführt sowie die Exportnachfrage nach deutschen Investitionsgütern gedämpft. Hier sehen wir also schon erste wirtschaftliche Bremsspuren.- Viele Schwellenländer stehen wirtschaftlich nicht gut da. Zieht dort eine neue Krise auf, die das Wachstum beeinträchtigt?Eine generelle Schwellenländerkrise befürchten wir nicht. Die aktuellen Schwierigkeiten in einigen Emerging Markets haben vor allem länderspezifische Ursachen. Oft geht es um Versäumnisse und Fehlsteuerungen der nationalen Wirtschaftspolitik. Diese rücken angesichts des fortschreitenden Zinszyklus in den USA wieder stärker in den Blick internationaler Anleger. Die Gruppe der Schwellenländer insgesamt hat derzeit eine ausgeglichene Leistungsbilanz. Zudem stehen in vielen Schwellenländern der gestiegenen Auslandsverschuldung auch höhere Devisenreserven gegenüber. Wir gehen davon aus, dass die Emerging Markets insgesamt auch im nächsten Jahr einen wichtigen Beitrag zum globalen Wirtschaftswachstum leisten werden.- Wie sehen Sie die Zinsentwicklung in den USA?Die US-Notenbank wird in diesem Jahr noch einmal den Leitzins erhöhen. Die Chefvolkswirte der privaten Banken erwarten im nächsten Jahr mindestens zwei weitere Zinsschritte. Die Kapitalmarktzinsen in den USA werden aller Voraussicht nach nicht im gleichen Umfang steigen. Mit einer Rendite von über 3 % werden langfristige US-Papiere auch für internationale Investoren zunehmend attraktiv. Die Zinsstrukturkurve, also der Abstand zwischen lang- und kurzfristigen Zinsen, wird noch flacher werden.- Welche Schlüsse lassen sich daraus für die konjunkturelle Entwicklung in den USA ziehen?Dies sollte nicht als Indikator für eine sich anbahnende Rezession gewertet werden. Wir gehen vielmehr davon aus, dass sich der Aufschwung der US-Wirtschaft auch 2019 fortsetzt. Mit dann 2,5 % Wirtschaftswachstum nach einem besonders kräftigen Plus von 3 % in diesem Jahr.- Der Austritt Großbritanniens aus der EU steht schon Ende März 2019 bevor. Welche Folgen erwarten Sie für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa – vor allem wenn es zu einem harten Brexit kommt?Ein harter Brexit würde empfindliche Störungen verursachen, nicht nur in der britischen Wirtschaft, sondern auch in den übrigen EU-Staaten. In unserer Wachstumsprognose für den Euroraum gehen wir zwar weiterhin davon aus, dass es noch eine gemeinsame Verständigung geben wird, doch die Risiken für diese Annahme sind deutlich gestiegen. Im Falle eines harten Brexit müssten wir die Wachstumsprognose für den Euroraum etwas nach unten korrigieren. Großbritannien dürfte dann wohl in eine Rezession rutschen.- Italien setzt auf kräftige Neuverschuldung. Welche Risiken birgt dies für Europas Wirtschaft?Die Haushaltspläne der neuen italienischen Regierung sind für die Währungsunion problematisch. Die Entwicklung im drittgrößten Euroland kann zu einer größeren Unsicherheit im gesamten Währungsraum führen und letztlich sogar die Effizienz der Geldpolitik beeinträchtigen. Besonders gravierend ist aber: Die Finanzstabilität im Euroraum wird von der Regierung in Rom als Sündenbock hingestellt. Fakt ist jedoch: Nicht das Verteilen teurer Wahlgeschenke, sondern eine nachhaltige Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik wäre in Italien die vordringlichste Regierungsaufgabe.- Leidet auch die Gemeinschaftswährung?Sollte die italienische Regierung mit ihren Haushaltsplänen durchkommen, würde die bereits stark ausgehöhlte Wirkung der Fiskalregeln weiter geschwächt. Dies würde zumindest im Norden der Eurozone die Eurokritiker weiter stärken. Letztlich stellt sich hier die Schicksalsfrage für den Euro.- Wie werden sich die Preise in Europa entwickeln?Ähnlich wie das Wirtschaftswachstum wird sich auch die Inflationsrate im Euroraum “normalisieren”. Wir rechnen damit, dass die Teuerungsrate im Jahresdurchschnitt 2018 und 2019 bei 1,7 % liegen wird. Das wäre völlig im Einklang mit dem mittelfristigen Preisziel der EZB. Erst recht, da auch die Kerninflation – also die Preissteigerungsrate ohne Energie und Nahrungsmittel – im nächsten Jahr auf gut 1,5 % anziehen sollte.- Wenn Sie der EZB raten: Welche geldpolitischen Maßnahmen sind nötig?Als Politikempfehlung leiten wir daraus ab: Die EZB sollte alle noch bestehenden Zweifel ausräumen, dass sie ihre Nettokäufe zum Jahresende einstellen wird. Danach sollte sie zügig einen Fahrplan für das Ende der Negativzinsen kommunizieren. Die Gefahr von verzerrten Risikopreisen und fehlgelenkten Investitionen ist nämlich durch die Negativzinspolitik besonders hoch.- Auf der politischen Agenda steht die Stabilisierung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU). Welche Schritte sind nötig?Wir hätten uns gewünscht, die Eigenverantwortung der nationalen Regierungen zu stärken. Zum Beispiel mit Mechanismen, die das Einhalten von gemeinsam beschlossenen Regeln sicherstellen. Die Chancen, kurz- bis mittelfristig solche Reformen zu erreichen, sind jedoch gering. Deswegen werden die Euro-Staaten wahrscheinlich nur mit kleinen Schritten vorankommen, zum Beispiel mit dem derzeit diskutierten Ausbau der Kompetenzen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Ein Grundprinzip sollte aber auf jeden Fall stärker berücksichtigt werden: Haftung und Verantwortung müssen möglichst deckungsgleich auf einer Ebene liegen. Das bedeutet: Bei einer Vertiefung der EWWU müssen gewisse nationale Souveränitätsrechte gemeinsam auf der EWWU-Ebene wahrgenommen werden.- Für Deutschland werden viele Prognosen derzeit nach unten korrigiert. Wie ist die Erwartung der Bankenvolkswirte?Für das laufende Jahr haben wir die Wachstumsprognose von 2,4 % auf jetzt 1,9 % gesenkt. Hintergrund war die schwächere Dynamik im ersten Halbjahr dieses Jahres. Vor allem die erwarteten Impulse von der Außenwirtschaft bleiben aus oder – wie bei den Ausrüstungsinvestitionen – deutlich hinter den Erwartungen zurück. Die Stimmungsindikatoren deuten inzwischen aber auf eine konjunkturelle Bodenbildung hin. Allerdings bringen die Verwerfungen im Automobilbereich infolge der Problematik durch die realitätsnahen WLTP-Abgastests für das dritte Quartal Abwärtsrisiken, die auch den Jahresdurchschnitt belasten könnten.- Sind Sie auch für 2019 so pessimistisch?Für das kommende Jahr haben wir unsere Wachstumsprognose nur marginal von 1,9 % auf 1,8 % angepasst. Nachlassende außenwirtschaftliche Impulse und eine robuste, vom Beschäftigungsaufbau und der Lohnentwicklung getragene Binnennachfrage werden 2019 das deutsche Konjunkturbild prägen.- Deutschland steht international in der Kritik wegen seines hohen Leistungsbilanzüberschusses. Sehen Sie Handlungsbedarf?Aus ökonomischer Sicht stellen die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse kein ernsthaftes Problem dar. Sie ergeben sich aus einer Vielzahl von individuellen Spar-, Investitions- und Konsumentscheidungen und sind nicht staatlich gesteuert. Zunehmend problematisch werden allerdings die politischen Schwierigkeiten, die mit hohen und über einen langen Zeitraum bestehenden Leistungsbilanzüberschüssen verbunden sind. Der äußerst populistische Vorwurf lautet: Länder mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen fördern künstlich die heimische Beschäftigung und Industrie auf Kosten des Auslands.- Ist der Vorwurf berechtigt?Dieser Vorwurf basiert auf dem Trugschluss, dass internationaler Handel und Kapitalverkehr ein “Nullsummenspiel” sei. Um die international wachsende Kritik an den deutschen Leistungsbilanzsalden dennoch zu lindern, empfehlen wir, die Binnennachfrage in Deutschland durch generell bessere Rahmenbedingungen für Investitionen und Bildung zu stärken. Auch deswegen, weil die Herausforderungen des technologischen Wandels zunehmen und die Produktivitätsentwicklung in Deutschland ausbaufähig ist.- Für die hohen Haushaltsüberschüsse hierzulande gibt es zahlreiche Vorschläge der Verwendung. Sollte der Staat mehr investieren oder Steuern senken?Wir empfehlen den goldenen Mittelweg, also Steuern senken und für eine gute öffentliche Infrastruktur sorgen. Bei den öffentlichen Investitionen sei allerdings noch einmal daran erinnert, dass hier derzeit weniger die verfügbaren Finanzmittel der Engpassfaktor sind, sondern die staatlichen Planungs- und Genehmigungsprozesse. Und: Auch zusätzliche öffentliche Bildungsausgaben sind Investitionen, auch wenn sie statistisch in der Regel als Staatsverbrauch verbucht werden.- Bleiben die öffentlichen Kassen gut gefüllt?Wir sollten nicht vergessen, dass die derzeitige üppige Situation der öffentlichen Haushalte und der Sozialkassen der wirtschaftlichen Sonderentwicklung in Deutschland und der extremen Niedrigzinspolitik der EZB zu verdanken ist. Beide Faktoren sind nicht von Dauer und die Demografie wird schon bald die Fiskalsituation deutlich belasten.—-Die Fragen stellte Angela Wefers.