Sozialstaat und Demografie

Höhere Sozialbeiträge ersticken das Wirtschaftswachstum

Verbände und Ökonomen setzen die Politik unter Druck, weil diese die wirtschaftlichen Folgen der Alterung verdrängt. In den Wahlprogrammen werde das Thema substanziell gar nicht adressiert.

Höhere Sozialbeiträge ersticken das Wirtschaftswachstum

Höhere Sozialbeiträge ersticken Wachstum

Verbände und Ökonomen rufen Politik zum Handeln auf – Parteien verschließen die Augen vor der Demografie

In den Wahlprogrammen der Parteien finden sich kaum Ansätze, um das Thema der demografischen Alterung anzugehen. Dabei führt dieses zu steigenden Sozialbeiträgen, höheren Lohnkosten und infolgedessen auch zu weniger Wachstum und Investitionen. Nur tiefgreifende Reformen können das System stabilisieren.

lz Frankfurt

Die stetig steigenden Sozialbeiträge sind nicht nur ein Problem für die Unternehmen, weil dadurch die Lohnkosten zulegen, und die Arbeitnehmer, weil der Nettolohn schrumpft, sondern auch für die Volkswirtschaft insgesamt. In einer Studie hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) auf Basis von Beitragsprognosen des Iges-Instituts der Krankenkassen berechnet, welche Folgewirkungen zu erwarten sind. Danach gehen Konsum und Investitionen zurück, das verfügbare Einkommen fällt und auch das Wirtschaftswachstum schwächt sich ab.

IW-Chef Michael Hüther verwies bei der Vorstellung des Gutachtens darauf, dass vor allem die Alterung der Gesellschaft – zusammen mit immer neuen Leistungsausweitungen – die Sozialbeiträge in die Höhe treibt. Doch werde das Thema „substanziell gar nicht in den Wahlprogrammen der Parteien adressiert“. Dabei habe der Standort schon seit geraumer Zeit Probleme mit sinkender Industrieproduktion, einer Seitwärtsbewegung bei der Bruttowertschöpfung und einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit.

Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther (Foto: IW)

Betroffen von den negativen Wirkungen steigender Beitragssätze wären vor allem Standorte und Unternehmen, bei denen aufgrund eines hohen Anteils gut qualifizierter Arbeitskräfte die Lohnkosten besonders stark zulegen. Dies würde die Wiederbelebung der Wirtschaftskräfte dort stärker als anderswo dämpfen und wiederum auf die Gesamtwirtschaft durchschlagen.

Reformen gefordert

„Wir brauchen sehr schnell Klarheit über eine Reformagenda für die Sozialversicherungen“, forderte Hüther in Berlin. Das Rentenzugangsalter müsse dynamisiert werden, die Pflegeversicherung eine Teilkaskoversicherung bleiben, die Krankenversicherung dürfe ihre Leistungen nicht weiter ausweiten, und die Arbeitslosenversicherung dürfe „nicht zur Weiterbildungsanstalt ausgebaut“ werden.

Bertram Brossardt von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) warf den Parteien vor, das Thema einfach wegzudrücken und die Augen davor zu verschließen. Vorschlägen, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben oder Beiträge auf Kapitalerträge zu erheben, wie zuletzt von Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck gefordert, hält er für kontraproduktiv. Man könne nicht immer mehr Geld in das System stecken, ohne es effizienter zu machen. Zumal andere Länder bessere Ergebnisse vorweisen könnten bei niedrigeren Kosten. Hüther hält die Idee, die Kapitalerträge für die Finanzierung herzunehmen, schon deshalb für fatal, weil es ein „neues Bürokratiemonster“ hervorbringe. Schließlich müssten auch die Finanzämter mitspielen.

„Systemwettbewerb erhalten“

Florian Reuther, Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV), hält eine mit dem Vorschlag einhergehende Abschaffung privater Krankenkassen für kontraproduktiv, weil sie überproportional an Kosten und Innovationen im Gesundheitssystem beteiligt seien. Außerdem werde der Systemwettbewerb – gesetzliche und private Kassen – beseitigt. Welche Folgen das für die Versorgung der Bürger habe, könne man beim National Health Service in Großbritannien sehen. Eine Entbürokratisierung, eine verringerte Mehrwertsteuer für Arzneimittel und insgesamt mehr Effizienz wären ein erster Schritt zur Kostendämpfung.


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