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Hohe Erwartungen an Indiens Finanzministerin

Von Ernst Herb, Hongkong Börsen-Zeitung, 5.6.2019 "Sie hat den härtesten Job des Landes", kommentierte am Wochenende die Tageszeitung "Indian Times" die Ernennung einer neuen Finanzministerin. Das heißt nicht, dass Nirmala Sitharaman zuvor eine...

Hohe Erwartungen an Indiens Finanzministerin

Von Ernst Herb, Hongkong”Sie hat den härtesten Job des Landes”, kommentierte am Wochenende die Tageszeitung “Indian Times” die Ernennung einer neuen Finanzministerin. Das heißt nicht, dass Nirmala Sitharaman zuvor eine leichte Aufgabe gehabt hätte. Immerhin stand die 59-Jährige seit 2017 dem Verteidigungsministerium vor. In dieser Funktion trug sie im vergangenen Februar wesentlich mit dazu bei, dass die einem blutigen Terroranschlag gegen indische Soldaten folgenden Luftangriffe gegen Ziele im Inneren Pakistans nicht zu einem Krieg zwischen den zwei Nuklearmächten eskaliert sind. Schlechte KonjunkturdatenWie groß die auf die neue Finanzministerin wartenden Herausforderungen sind, hat sie schon am ersten Tag im Amt erlebt, prasselten doch gleich eine ganze Reihe von schlechten Konjunkturdaten auf sie ein. So etwa, dass die drittgrößte asiatische Volkswirtschaft von Januar bis März mit 5,8 % zum ersten Mal binnen zwei Jahren langsamer als die chinesische Wirtschaft gewachsen ist, oder auch, dass die Arbeitslosenrate im vergangenen Finanzjahr mit 6,1 % auf den höchsten Stand seit Mitte der siebziger Jahre gestiegen ist.Ökonomen des japanischen Finanzhauses Nomura gehen davon aus, dass der zyklische Abschwung in Indien weiter anhalten wird. Zwar wird allgemein erwartet, dass die Reserve Bank of India den Leitzins am Donnerstag bereits zum dritten Mal in diesem Jahr um 0,25 Prozentpunkte auf dann 5,75 % senken wird. Doch das wird den Schmerz lediglich lindern, die strukturellen Probleme aber nicht aus dem Weg schaffen.Entsprechend groß ist der auf Sitharaman lastende Druck, das Wachstum durch tiefgreifende Reformen zu stimulieren. Der Verband der Indischen Industrie hat Anfang der Woche schon einmal den Wunsch geäußert, dass mit einer Senkung der Unternehmenssteuer von bisher mehr als 30 % auf noch 25 % die Investitionen angekurbelt werden sollen. Doch ist die im Vormonat bei der Parlamentswahl mit einem Glanzresultat im Amt bestätige Partei von Premierminister Modi vorerst damit beschäftigt, ihre teuren Wahlversprechen einzulösen. So wurde etwa beschlossen, dass mehr als 200 Millionen Landwirte eine Jahreszahlung von 6 000 Rupien, also 86 Dollar, erhalten sollen.Die neue Finanzministerin muss vor diesem Hintergrund dafür sorgen, dass die Staatsausgaben nicht aus dem Ruder laufen. Das ist eine umso wichtigere Aufgabe, als die Regierung in dem im Januar dem Parlament vorgelegten Budgetentwurf die selbst gesetzte Defizitgrenze von 3 % deutlich überschritt. Damit droht die in Indien lange notorisch hohe Inflationsrate erneut zu einem Thema zu werden. Raum für ReformenAllerdings verfügt die Regierung im Parlament über eine komfortable absolute Mehrheit, was ihr Raum für mutige Reformschritte gibt. So etwa durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes oder auch die Privatisierung von wenig produktiven Staatsbetrieben und dabei insbesondere auch Banken, die landesweit einen Marktanteil von mehr als 70 % haben.Sitharaman gilt innerhalb ihrer hindunationalistischen Bharatiya Janata Partei, die mit schrillen Tönen immer wieder säkulare und muslimische Bürger vor den Kopf stößt, als gemäßigte Stimme. Das hat sie schon einmal bewiesen, als sie Parteisprecherin war. Ihre Weltoffenheit verdankt sie vielleicht ihrer Herkunft aus dem südchinesischen Teilstaat Tamil Nadu, der dank einer Alphabetisierungsrate von annähernd 80 % eine der höchstentwickelten Regionen ganz Indiens ist. Bemerkenswert ist auch, dass die verheiratete Mutter einer erwachsenen Tochter in eine Familie eingeheiratet hat, die der säkularen Kongress Partei nahesteht.Die neue Finanzministerin hat zuvor bereits in anderen hohen Ämtern einen wirtschaftsliberalen Kurs vorangetrieben. Dabei ist die studierte Ökonomin nicht etwa eine abgehobene Akademikerin. Sie lebte nach dem Studium mehrere Jahre lang in Großbritannien, wo sie unter anderem kurzzeitig als Verkäuferin und als Journalistin für den Radiosender BBC arbeitete und außerdem für die Buchprüfungsgesellschaft PriceWaterhouse tätig war.