LEITARTIKEL

Hollandes vertane Chance

Frankreichs sozialistische Regierung hat eine große Chance vertan. Wieder einmal ist sie angesichts massiver Proteste und Kritik vom linken Rand der eigenen Partei zurückgerudert, auch wenn sie einen Teil der Pläne bisher retten konnte. Und doch hat...

Hollandes vertane Chance

Frankreichs sozialistische Regierung hat eine große Chance vertan. Wieder einmal ist sie angesichts massiver Proteste und Kritik vom linken Rand der eigenen Partei zurückgerudert, auch wenn sie einen Teil der Pläne bisher retten konnte. Und doch hat sie damit wieder einmal ein falsches Signal an ausländische Investoren ausgesendet. Dort genießt Frankreich angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und des verkrusteten Arbeitsrechts ohnehin keinen übermäßig guten Ruf. Deshalb wäre es für die Regierung von Präsident François Hollande um so wichtiger gewesen, die dringend notwendige Reform des Arbeitsrechts wie vorgesehen durchzuziehen.Arbeitgeberverbände appellierten jetzt erneut, den geplanten Gesetzentwurf für die Reform nicht unnötig zu komplizieren. Die Regierung müsse in dem Projekt wie ursprünglich geplant auch Maßnahmen für kleine und mittelgroße Unternehmen vorsehen, forderten sie. Denn bei der Abschwächung hatte sie zwar alles daran gesetzt, die Maßnahmen, die große Konzerne betreffen, zu verteidigen. Aber dafür wurden Maßnahmen geopfert, die kleinen und mittelständischen Betrieben zu mehr Flexibilität verholfen hätten. So wurde die zunächst geplante Möglichkeit für sie fallen gelassen, sich künftig direkt mit Mitarbeitern auf eine jährlich berechnete Arbeitszeit zu einigen, um so die 35-Stunden-Woche zu umgehen. Dies soll jetzt nur noch durch ein Tarifabkommen möglich sein.Sicher, es sind die großen Konzerne, die das Aushängeschild Frankreichs sind. Doch es sind die kleinen und mittelgroßen Firmen, die stärker als sie zur Wertschöpfung des Landes und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. Ihr Anteil an diesen beiden Werten ähnelt dem ihrer deutschen Gegenparts. Mit einem großen Unterschied: In Frankreich gibt es im Gegensatz zu Deutschland deutlich weniger große, mächtige Mittelständler. Stattdessen sind viele in dieser Kategorie zusammengefassten Unternehmen Kleinstbetriebe. Dass sie nicht stärker gefördert werden, ist auch eine Folge des französischen Elitesystems. Denn viele Absolventen von Kaderschmieden wie der “Ecole Nationale d’Administration” (ENA) und der “Ecole Polytechnique” beginnen ihre Karriere im Staatsdienst und wechseln dann zu den großen Konzernen. Da sie häufig zusammen mit Politikern studiert haben, sind diese später eher geneigt, ihnen gegenüber Zugeständnisse zu machen.Dabei hätten es die kleinen und mittelgroßen Unternehmen genau so nötig, gefördert zu werden. Es sind sie, die dringend mehr Flexibilität benötigen. Jahrzehntelang hat Frankreich den Schutz der Arbeitnehmer immer weiter ausgebaut. Dadurch ist ein kompliziertes Geflecht an Vorschriften entstanden. Während der sogenannten “Trente Glorieuses”, der 30 glorreichen Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, hat dies die Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht behindert. Doch angesichts des vor sich hin dümpelnden Wachstums und der hohen Arbeitslosigkeit muss das verkrustete französische Arbeitsrecht nun dringend den heutigen Umständen angepasst werden.Denn die strengen Regeln und der hohe Kündigungsschutz haben dazu geführt, dass sich in den letzten Jahren eine parallele Arbeitswelt herausgebildet hat. Da sie keine anderen Mittel haben, um flexibel auf eventuelle Krisen reagieren zu können, greifen französische Firmen verstärkt auf befristete Arbeitsverträge zurück. Deshalb gibt es auf der einen Seite eine neue prekäre Schicht von Arbeitnehmern, die sich von Kurzvertrag zu Kurzvertrag durchhangeln, und auf der anderen Seite die der Angestellten mit unbefristeten Verträgen. Da es wegen des vergleichsweise hohen Kündigungsschutzes schwer und vor allem teuer ist, sich wieder von ihnen zu trennen, stellen viele Betriebe lieber gar nicht mehr erst ein.Der Gesetzentwurf für die Reform, der Donnerstag im Ministerrat vorgelegt werden soll, geht einige dieser Probleme an. So sollen betriebsbedingte Kündigungen erleichtert werden. Doch die Pläne, die bisher vergleichsweise hohen Abfindungen bei Entlassungen zu deckeln, wurden fallengelassen. Stattdessen sollen jetzt lediglich unverbindliche Richtwerte veröffentlicht werden. Die Reform ist mit der geplanten Aufweichung der 35-Stunden-Woche ein Schritt in die richtige Richtung. Doch er fällt wieder einmal zu zögerlich aus. Die Reaktion der Franzosen könnte nicht widersprüchlicher sein. 2014 sprach sich in einer Umfrage die Mehrheit von ihnen für mehr Flexibilität für Unternehmen aus, doch nun lehnt die Mehrheit in Umfragen eine Reform ab, die genau dieses Ziel verfolgt.——–Von Gesche Wüpper Die geplante Reform des Arbeitsrechts hilft großen Konzernen, aber nicht kleinen und mittelständischen.——-