Energiekrise

Ifo-Chef kritisiert Pläne für deutsche Atommeiler

Der Streit über die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geplante Atomstromreserve hat neben der Politik auch die Top-Ökonomen des Landes erfasst. Ifo-Chef Clemens Fuest übte harsche Kritik.

Ifo-Chef kritisiert Pläne für deutsche Atommeiler

BZ Berlin

Der Streit über Sinn und Unsinn der von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagenen Atomstromreserve hat neben der Politik auch die Riege der Top-Ökonomen erfasst. Während Ifo-Chef Clemens Fuest die Linie der Bundesregierung mit Blick auf die Abkehr von der Atomkraft am Mittwoch vor dem Verein der Ausländischen Presse in Deutschland (VAP) scharf kritisierte, übte die DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert Kritik mit umgekehrten Vorzeichen: Eine Reserve mit den Atommeilern Isar 2 und Neckarwestheim, wie sie Habeck am Montag nach der Veröffentlichung des Stresstests zum deutschen Stromsystem vorgeschlagen hatte, sei zur Sicherung der Energieversorgung nicht erforderlich, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Mittwoch).

Fuest schlug bei seinem Auftritt vor dem VAP in Berlin einen ganz anderen Ton an und verwies auch auf die Rolle der drei am Netz verbliebenen deutschen Atommeiler für den europäischen Strommarkt. „Diese Kernkraftwerke abzuschalten, mitten in einer gewaltigen Stromkrise, erscheint mir völlig verrückt und europäisch extrem unsolidarisch“, sagte der Münchner Ökonom. Für die Stabilität der Stromversorgung in ganz Europa sei es wichtig, dass die Kernkraftwerke weiterliefen.

Auch der Verband Kerntechnik Deutschland (KernD) kritisierte die Pläne für die bis April 2023 begrenzte Kernkraftreserve. Die am Netz verbliebenen Atommeiler könnten noch länger zu einer Entlastung des angespannten Strommarktes beitragen, erklärte der Lobbyverband der Atombranche am Mittwoch. Die Auswirkungen eines mehrjährigen Weiterbetriebs von Kernkraftwerken auf die Preisentwicklung hätten bei den Überlegungen des Bundeswirtschaftsministeriums offenbar keine Rolle gespielt.

Habeck hatte nach dem Stresstest zur Versorgungssicherheit vorgeschlagen, das Eon-Kraftwerk Isar 2 und Neckarwestheim von EnBW noch bis Mitte April in Bereitschaft zu halten. Der dritte noch laufende Meiler, das RWE-Kernkraftwerk Emsland, soll wie im Atomausstiegsgesetz beschlossen Ende Dezember dieses Jahres vom Netz gehen. Die deutschen Übertragungsnetzbetreiber, die den Stresstest im Auftrag des Ministeriums durchführten, hatten laut 50Hertz-Chef Stefan Kapferer dagegen vorgeschlagen, angesichts der Energiekrise alle drei Kraftwerke länger laufen zu lassen.

Im ersten Halbjahr hat sich der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr auf 6% halbiert, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte. Grund für den deutlichen Rückgang ist die Abschaltung von drei der sechs bis dahin noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke zum Jahresende 2021 im Zuge des Atomausstiegs.

Der Anteil der Kohleverstromung kletterte im ersten Halbjahr auf 31,4% und legte um fast ein Fünftel zu. Die Stromerzeugung aus Erdgas, das wegen gedrosselter Lieferungen aus Russland rar und teuer ist, machte immer noch 11,7 (i. V. 14,4)% der Stromerzeugung aus. Die Erzeugung aus erneuerbaren Quellen stieg um knapp ein Achtel auf einen Anteil von 48,5%, da Windkraft und Fotovoltaik spürbar zulegten.

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