„Im März dürfte mit dem laufenden Zinszyklus der Fed Schluss sein“
Peter De Thier.
Herr Norland, die US-Notenbank Fed wird kommende Woche aller Voraussicht nach die siebte Leitzinserhöhung in diesem Jahr beschließen. Was erwarten Sie von der FOMC-Sitzung?
Unser Fed Watch Tool sieht eine Chance von etwa 75%, dass der Zielkorridor für die Federal Funds Rate um 50 Basispunkte angehoben wird. Natürlich hängen die Entscheidungen immer von aktuellen Daten ab. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass am ersten Tag der Sitzung der Verbraucherpreisindex für November veröffentlicht wird, und diesen wird sich die Fed sehr genau ansehen. Es müsste aber einen bedeutenden Ausreißer geben, um an der Erwartung etwas zu ändern, dass der Leitzins um 0,5 Prozentpunkte erhöht wird.
Und wie geht es danach weiter?
Die Fed hat ja ihre Absicht, das Tempo der Zinserhöhungen bald zu drosseln, klar kommuniziert. Mit dieser Formulierung bleibt aber dennoch eine gewisse zeitliche Flexibilität. Angenommen, dass der Verbraucherpreisindex nächsten Dienstag völlig unerwartet hochschießt und somit auf wesentlich höhere Inflation hindeutet: Dann bestünde noch die Möglichkeit einer Straffung um 75 Basispunkte, wovon ich aber nicht ausgehe. Vielmehr gehen wir nach jetzigem Stand davon aus, dass sowohl im Dezember als auch im Februar kommenden Jahres der Leitzins um jeweils einen halben Prozentpunkt hochgeschraubt wird. Eventuell könnten darauf im März 2023 weitere 25 Basispunkte folgen. Dann aber dürfte mit dem laufenden Zinszyklus Schluss sein.
Wie aus dem November-Arbeitsmarktbericht hervorgeht, übertrafen die Lohnsteigerungen mit einem Plus von 5,1% die Markterwartungen. Welche Rolle werden die Löhne bei der weiteren Entwicklung der Inflation spielen?
Die Zahl der offenen Stellen ist ja im November zurückgegangen, liegt aber immer noch über 10 Millionen. Das trägt zum Lohndruck bei. Ich glaube aber, dass sich die Lücke, die zwischen der Arbeitskräftenachfrage und dem Angebot klafft, weiter verkleinern wird und der Lohndruck dann nachlassen wird. Zu berücksichtigen ist auch, dass zahlreiche Unternehmen – insbesondere führende Tech-Firmen – Stellenstreichungen beschlossen haben und die entlassenen Mitarbeiter neue Arbeitsplätze finden müssen. Sollte es hingegen bei Lohnsteigerungen von 5% oder mehr bleiben, dann wären diese für die Fed deswegen Anlass zur Sorge, weil das Produktivitätswachstum so gering ist. Wenn die Produktivität in der US-Wirtschaft ebenfalls um 5% pro Jahr zulegen würde, dann wären die hohen Löhne mit Blick auf die Inflation kein Problem.
Drehen wir die Uhren ein Jahr zurück: Hat Notenbankchef Jerome Powell 2021 zu spät auf die Inflation reagiert und stellt die anschließende Kursverschärfung eine Überreaktion dar?
Das ist durchaus möglich. Es kommt häufig vor, dass eine Notenbank über das Ziel hinausschießt, und zwar in beide Richtungen. Zwar hat sich rückblickend herausgestellt, dass die Inflation nicht so temporär war, wie viele das angenommen hatten. Besonders interessant – gerade für Investoren – ist aber die Tatsache, dass aus der Sicht der Anleihemärkte die hohe Inflation tatsächlich vorübergehend ist. Wenn man sich die Spanne ansieht zwischen US-Staatsanleihen und inflationsgeschützten Anleihen oder auf die Renditen jener Anleihen blickt, die Anfang 2024 oder Anfang 2025 fällig sind, dann wird klar, dass die Märkte mit einem recht raschen Rückgang der Teuerungsrate auf 2 bis 2,5% rechnen.
Wo sehen Sie denn den neutralen Zinssatz?
Ich weiß gar nicht, ob es aus der Sicht der Märkte wirklich so etwas wie einen „Gleichgewichts-“ oder „neutralen Zinssatz“ gibt. Zwar hatte der letzte Dot Plot des Offenmarktausschusses (FOMC) darauf hingedeutet, dass der Leitzins auf 4,6% hochgeschraubt werden würde. Nun ist aber zu erwarten, dass er bis März nächsten Jahres etwa 5% erreichen wird. Ich denke, dass sich die Währungshüter dann bis zum Sommer 2023 zurückhalten werden und die Federal Funds Rate auf diesem Niveau verharren wird. Dann aber dürfte die Fed wieder beginnen, den Geldhahn aufzudrehen und die Zinsen zu senken. Die Märkte rechnen jedenfalls mit einem langfristigen Satz, der sich gegen Ende 2024 zwischen 3,5 und 3,75% einpendeln wird.
Welche Folgen haben denn die Zinserhöhungen für den Häusermarkt?
Der Immobilienmarkt scheint sich am Beginn eines Abschwungs zu befinden. Das sehen wir unter anderem an dem Rückgang der Eigenheimkäufe, sowohl neuer als auch bestehender. Dasselbe gilt für Anträge auf Baugenehmigungen und Baubeginne. Der gesamte Sektor beginnt sich abzukühlen. Wichtig ist aber, dass wir überhaupt keinen Vergleich zur Krise 2008 ziehen können. Insbesondere deswegen, weil es keine Subprime-Darlehen mehr gibt, die damals den Absturz ausgelöst haben. Folglich besteht heute keine Gefahr für die Stabilität des Banken- und Finanzsystems. Auch macht der Markt heute einen wesentlich geringeren Bestandteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus als vor 14 Jahren, also würden sich die gesamtwirtschaftlichen Folgen ebenfalls in Grenzen halten.
Haben Sie denn die Sorge, dass die recht aggressiven Zinserhöhungen die US-Wirtschaft in eine Rezession stürzen könnten?
Vorstellbar ist das. Schließlich hat die Zinspolitik zur invertierten Zinskurve beigetragen. Wenn die kurzfristigen Zinssätze über mehrere Monate deutlich höher sind als die langfristigen, und das scheint sich abzuzeichnen, dann steigt das Risiko einer Rezession ganz erheblich. Der Konjunktureinbruch muss deswegen aber nicht sofort kommen. Die inverse Zinskurve kann auch Vorbote einer Rezession sein, die bis zu zwei Jahre auf sich warten lässt. Das haben wir zum Beispiel von 1989 bis 1991 und zwischen 1999 und 2002 beobachtet.
Und was würde das für die Zinspolitik der Fedreal Reserve bedeuten?
In der Regel wird vor einem neuen Zinszyklus unterschätzt, wie weit die Notenbank gehen wird, und zwar in beide Richtungen. Das gilt also sowohl für Zinserhöhungen, wie wir sie derzeit sehen, als auch Zinssenkungen. Als im März die Straffungen begannen, hieß es, dass das FOMC insgesamt vielleicht um 1,75 Prozentpunkte raufgehen würde. Heute sind wir aber schon bei 3,75 Prozentpunkten, und die Währungshüter sind längst nicht fertig. Genauso wird es auch in die andere Richtung gehen, wenn nämlich die hohen Zinsen sowohl Investitionen als auch den Konsum abwürgen.
Das Interview führte