Geldpolitik

Inflation in Türkei legt nochmals leicht zu

Warnungen vor einer Währungskrise in der Türkei wie 2018 werden lauter. Trotz anhaltend hohen Preisdrucks könnte die türkische Zentralbank mit einem Kniff weitere Zinssenkungen rechtfertigen.

Inflation in Türkei legt nochmals leicht zu

rec Frankfurt

Die Inflationssorgen in der Türkei lassen nicht nach. Im Oktober sind die Verbraucherpreise nach offiziellen Angaben auf Jahressicht um 19,9% gestiegen und somit nochmals stärker als im September. Die türkische Zentralbank rechnet nicht damit, dass die Teuerungsrate in absehbarer Zeit in den einstelligen Bereich zurückkehrt und sich ihrem Zielwert von 5% nähert. Trotzdem ist mit weiteren Zinssenkungen zu rechnen – womöglich noch in diesem Jahr. Die Warnungen von Beobachtern vor einer Neuauflage der Währungskrise von 2018 werden lauter.

Realzins deutlich im Minus

Während Zentralbanken in vielen Schwellenländern angesichts des unerwartet starken Inflationsschubs teils aggressiv die Zinsen erhöhen, gilt die Türkei als Ausnahmeerscheinung. Vor zwei Wochen hatten die Währungshüter den Leitzins un­erwartet stark um 2 Prozentpunkte auf 16% gesenkt. In der Folge fiel die Lira auf neuerliche Allzeittiefs. In den Wochen zuvor war die Zentralbank von ihrer Ankündigung abgerückt, den Leitzins über der Teuerungsrate halten zu wollen. Der Realzins, also der nominale Leitzins ab­züglich Inflation, ist somit auf inzwischen knapp – 4% abgerutscht.

Maßgeblich für den Schwenk der Zentralbank dürfte der Druck von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gewesen sein, die Zinsen wieder zu senken, um die Kreditvergabe anzukurbeln. In der Türkei wird spätestens im Juni 2023 gewählt. Beobachter bringen Erdogans Drängen mit dem heraufziehenden Wahlkampf in Verbindung und dem Versuch, diesen aus einer Position der wirtschaftlichen Stärke zu bestreiten. Der Internationale Währungsfonds rechnet mit 9% Wachstum in diesem und 3,3% im nächsten Jahr. Erdogans Kalkül könnte also aufgehen – allerdings mit unkalkulierbaren Folgen für die Landeswährung.

Immer häufiger ziehen Beobachter Parallelen zur Währungskrise vor drei Jahren. Seinerzeit war die Zentralbank letztlich gezwungen, den Leitzins bis auf 24% zu schrauben, ehe sie im Sommer 2019 wieder zu lockern begann. Diesmal hat sie die Zinswende trotz steigender Inflationsrisiken bereits bei 19% eingeleitet. Die Goldman-Sachs-Analysten Murat Unur und Clemens Grafe sprechen deshalb von einem „unvollständigen Zinserhöhungszyklus“. Ökonomen von Capital Economics erkennen ähnliche Schwachstellen wie 2018: Politischer Druck auf die Zentralbank, eine von einem Kreditboom befeuerte Konjunktur und hohe, kurzfristig zu bedienende Auslandsschulden. Für besorgniserregend hält Experte William Jackson, „dass die türkische Wirtschaft angesichts des hohen Außenfinanzierungsbedarfs und der begrenzten Devisenreserven der Zentralbank besonders anfällig für Kapitalabflüsse ist“. Die haben zuletzt zugenommen.

Die Notenbank hat ihre Inflationsprognosen wiederholt deutlich angehoben. Sie ist allerdings dazu übergegangen, die Bedeutung der Kernrate ohne die schwankungsanfälligen Preise für Lebensmittel und Energie zu betonen. Mit diesem Kniff könnte sie weitere Zinssenkungen rechtfertigen: Die Kerninflation hat sich leicht auf 16,8% abgeschwächt.

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