Türkei

Inflation lässt Zentralbank kalt

Die türkischen Währungshüter tasten den Leitzins erwartungsgemäß nicht an. Unter Beobachtern verfestigt sich die Erwartung von Zinssenkungen.

Inflation lässt Zentralbank kalt

Trotz unaufhaltsam steigender Inflationsraten haben die Währungshüter in der Türkei abermals von einer Zinserhöhung abgesehen. Vielmehr ließen sie nach verbreiteter Auffassung von Beobachtern sogar die Tür für eine Absenkung des Leitzinses von derzeit 19% im weiteren Verlauf des Jahres offen.

Seit Monaten mehren sich Sorgen vor einer ausufernden Inflation in der Türkei. Im April lagen die Verbraucherpreise 17,1% höher als vor zwölf Monaten, das ist die höchste Rate seit zwei Jahren. Die Zentralbank hat ihre Prognose zur Entwicklung der Inflation zuletzt deutlich nach oben revidiert und rechnet zum Jahresende mit einer Inflationsrate von 12,2%. Offizielles Ziel sind 5%.

Ökonomen halten deswegen überwiegend höhere Zinsen für angezeigt. Gerechnet hatten sie mit einem solchen Schritt zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht. Hintergrund ist, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan im März zum wiederholten Male unvermittelt den Chef der Zentralbank ausgetauscht hat. Anders als sein Vorgänger Naci Agbal gilt der jetzige Amtsinhaber Sahap Kavcioglu wie Erdogan als Verfechter niedriger Zinsen, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Dieses Ansinnen dürfte in den kommenden Wochen an Bedeutung gewinnen. Denn wegen stark steigender Infektionszahlen befindet sich das Land in einem dreiwöchigen Lockdown, in dem Restaurants und die meisten Geschäfte geschlossen bleiben müssen. Zudem hat die Regierung den Verkauf von Alkohol für die Dauer des Lockdowns verboten. In der Türkei liegen große Hoffnungen auf einer Erholung des Tourismus, der von wesentlicher Bedeutung für die Wirtschaft des Landes ist. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wirbt deshalb für eine rasche Normalisierung des Tourismus. Gestern kündigte Cavusoglu laut der Nachrichtenagentur Reuters an, bis Ende Mai das gesamte Personal in den Touristenhotels zu impfen – einschließlich kleiner Hotels.

Die Türkei ist wirtschaftlich bislang besser als die meisten anderen Länder durch die Coronakrise gekommen und verzeichnete 2020 sogar ein kleines Wachstum. Zwischenzeitlich hatten die Währungshüter den Leitzins im Sommer 2020 auf 8,25% abgesenkt. Die damit einhergehende Kreditschwemme weckte unter Beobachtern allerdings Sorgen über die Finanzlage der Unternehmen. Viele haben sich zu substanziellen Teilen in Fremdwährungen verschuldet, was sie anfällig für Abwertungen der Landeswährung macht. Seit dem neuerlichen Revirement an der Spitze der Notenbank samt Abkehr von einem strafferen Kurs der Geldpolitik hat die Lira zu Dollar und Euro deutlich an Wert verloren. Das dürfte perspektivisch auch die Preise im Land treiben. Hinzu kommt, dass die Energiepreise auf den Weltmärkten im Zuge des Post-Corona-Aufschwungs angezogen haben. Die Türkei ist auf den Import von Öl und anderen Energieträgern angewiesen.

Unter Beobachtern verfestigt sich der Eindruck, dass ungeachtet der hohen Inflation Zinssenkungen eine Frage der Zeit sind. Manche rechnen damit schon in den kommenden Monaten, andere im November oder Dezember.

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