LEITARTIKEL

Insel der Glückseligen

Ausgerechnet im Wahljahr verlässt die schwarz-gelbe Bundesregierung die Fortune. Für 2013 musste sie ihre Konjunkturprognose zurücknehmen. Nur noch 1 % Wachstum erwartet Schwarz-Gelb für das nächste Jahr, nachdem die Hoffnungen zum Jahresbeginn noch...

Insel der Glückseligen

Ausgerechnet im Wahljahr verlässt die schwarz-gelbe Bundesregierung die Fortune. Für 2013 musste sie ihre Konjunkturprognose zurücknehmen. Nur noch 1 % Wachstum erwartet Schwarz-Gelb für das nächste Jahr, nachdem die Hoffnungen zum Jahresbeginn noch um sechs Zehntel höher lagen. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) beeilte sich, bei Vorlage der Zahlen zu versichern, dass es sich keineswegs um ein Wachstumseinbruch handele, sondern allenfalls um eine Abschwächung. Es fehlt nach den Worten des Ministers im Augenblick einfach am Vertrauen der Investoren – aber aufgeschoben ist ja längst nicht aufgehoben. Der deutliche Aufschwung kommt, nur eben später – denkt zumindest Rösler.Für Schwarz-Gelb kommt diese Verzögerung zur Unzeit. Hat die Konjunktur der Koalition hierzulande bislang in die Hände gespielt, verlässt sie dieses Glück genau im Wahljahr. Um Deutschland herum manifestieren sich große wirtschaftliche Probleme, doch hierzulande tut die Regierung so, als säßen wir auf einer Insel der Glücksseligen. Deutschland predigt anderen Ländern, ihre Haushalte zu konsolidieren, ist aber mit sich selbst keineswegs so streng, wie es dabei sein könnte.Im nächsten Jahr soll die Neuverschuldung auf knapp 19 Mrd. Euro sinken, nachdem sie in diesem Jahr inklusive zweier Nachtragshaushalte noch 32 Mrd. Euro erreicht. Die Steuereinnahmen, die dank der guten Konjunktur – und zur Überraschung der Regierung selbst – in der jüngsten Vergangenheit weit über den Prognosen der Steuerschätzer lagen, haben es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erlaubt, die Etatziele auch ohne schmerzliche Einschnitte für die Bevölkerung zu erreichen. Zwei Nachtraghaushalte für die vorgezogenen Einzahlungen in den Euro-Stabilisierungsfonds ESM und zur Stärkung des Kapitals der Europäische Investitionsbank EIB hat Schäuble verdaut, ohne dafür bei anderen Ressorts zu kürzen. Der Abbaupfad der Schuldenbremse zum strukturellen Defizit von null ist dadurch nicht einmal gefährdet. Mehr noch: Schäuble erreicht das Ziel nicht erst 2016, sondern schon 2013.Doch bei der wunderbaren Geldvermehrung im Steuersäckel wird es angesichts des Konjunkturausblicks nicht bleiben. Auch an anderer Stelle wird es finanziell enger. Die Entlastung am Arbeitsmarkt dürfte den Prognosen zufolge zu einem Ende gekommen sein. Für 2013 wird die Zahl der Arbeitslosen zwar noch nicht wieder steigen, aber der Beschäftigungsaufbau stagniert. Dies hat Auswirkungen auf die Sozialkassen. Die hohen Einnahmen dort haben bei der Planung zum Bundeshaushalt 2013 zu deutlichen Entlastungen geführt. So hat Schäuble den Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds gesenkt, führt weniger an die Rentenkasse ab und auch bei der Bundesagentur für Arbeit bleibt Geld für seinen Etat übrig. Doch diese Entwicklung lässt sich bei einer Trendwende am Arbeitsmarkt nicht fortschreiben.Schließlich sind es auch die niedrigen Zinsen, die dem Bundesfinanzminister helfen, seinen Etat im Lot zu halten. Eine Reihe von Zusatzausgaben kann der Bund mit Einsparungen bei den Zinsausgaben kompensieren, nachdem die Finanzmärkte Deutschland derzeit Kredit geben, ohne dafür eine wirkliche Verzinsung sehen zu wollen. Auch dieser unnormale Zustand wird nicht ewig währen.Kann die Regierung, die mehr mit der Euro-Krise beschäftigt ist als mit der Binnenkonjunktur, das Wachstum beflügeln? Der Vertrauensverlust in die Eurozone, eines der Hauptrisiken für die Wirtschaft hierzulande, wird sich nicht schnell beheben lassen. Erst der jüngste EU-Gipfel hat wieder gezeigt, dass nur kleine Schritte vom Club der Europäer zu erwarten sind. Zum Arbeitsmarkt haben die Wirtschaftsforscher bei ihrem Herbstgutachten konstatiert, dass die positiven Effekte aus den strukturellen Reformen nun erschöpft sind. Die Marke von 3 Millionen Menschen ohne Arbeit lasse sich nur bei weiteren Strukturreformen verringern. Die sind aber nicht in Sicht. Größere Steuerentlastungen, die der Nachfrage einen Impuls geben könnten, verbieten sich, sollen die Staatsfinanzen solide bleiben. Aber selbst die überschaubare Milderung der kalten Progression, die Lohnerhöhungen künftig nicht mehr direkt in die Tasche des Fiskus leiten würde, steht in den Sternen. Obwohl der Bund fast allein die Lasten schultert, haben die Länder auf Blockade geschaltet. Das alles ist allzu wenig, um Investoren wieder das nötige Vertrauen zu verschaffen. Das Wahljahr wird beschwerlich. ——–Von Angela Wefers ——- Hat die Konjunktur der schwarz-gelben Koalition hierzulande bislang in die Hände gespielt, verlässt sie dieses Glück genau im Wahljahr.