LEITARTIKEL

Italien in der Zerreißprobe

Das hat gerade noch gefehlt. Dass Italiens Wirtschaft langsamer wächst als vorhergesehen ist bekannt. Aber dass die zaghafte Wachstumsprognose der Regierung für 2017 von 1 % nun auch von den wichtigsten Institutionen des Landes in Frage gestellt...

Italien in der Zerreißprobe

Das hat gerade noch gefehlt. Dass Italiens Wirtschaft langsamer wächst als vorhergesehen ist bekannt. Aber dass die zaghafte Wachstumsprognose der Regierung für 2017 von 1 % nun auch von den wichtigsten Institutionen des Landes in Frage gestellt wird, ist eine zusätzliche Belastung für die Regierung von Matteo Renzi. Die Banca d’Italia und der Rechnungshof zeigen sich gegenüber der angeblich optimistischen Prognose skeptisch. Sie fordern detaillierte Wachstumsimpulse wie etwa Steuersenkungen und mehr Investitionen. Finanzminister Pier Carlo Padoan beharrt auf seiner Prognose und verspricht, Details der Finanzplanung in den kommenden Tagen bekanntzugeben. Doch die Frage, inwieweit die Regierung Renzi fähig ist, die Wirtschaft effizient anzukurbeln, ist inzwischen in aller Munde. Problem ist, dass es derzeit keine gültige Alternative zur Mitte-links-Regierung gibt. Denn die Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S) gibt in Rom eine klägliche Figur ab. Die M5S-Bürgermeisterin Virginia Raggi ist dreieinhalb Monate nach ihrer Ernennung nicht imstande, einen kompletten Stadtrat zu präsentieren. Eine Farce, die dem Image und der eventuellen Regierungsfähigkeit der Bewegung schadet. Und die in Opposition befindlichen Rechtsparteien sind untereinander zerstritten. Einig sind sie sich einzig mit ihrer Euroskepsis und der Ablehnung der Verfassungsreform.In zwei Monaten, am 4. Dezember, findet in Italien die Volksabstimmung über die Verfassungsreform statt. Dabei geht es vor allem darum, das bisherige System zweier gleichberechtigter Parlamentskammern abzuschaffen. Die zweite Parlamentskammer, der Senat, soll entmachtet, die Anzahl der Senatoren von 315 auf nur mehr 100 ehrenamtliche, also unbezahlte Abgeordnete gekürzt werden. Dem Regierungschef geht es darum, durch die Reform mehr politische Stabilität zu schaffen. Schließlich hat Italien in den letzten 70 Jahren, seit der Erstellung der gegenwärtigen Verfassung, 63 Regierungen gehabt. Abgesehen davon, dass das sogenannte “perfekte Zweikammern-System” auch Gesetzesentwürfe dauerhaft blockiert. Dies soll sich durch die Reform ändern. Streitpunkt ist vor allem, dass die Senatoren künftig nicht mehr vom Volk, sondern von ihren Regionalparlamenten und Stadträten gewählt werden. Kritiker fürchten um die Gewaltenteilung.In der Wahlkampagne geht es nicht so sehr um technische Details der Verfassungsreform. Es geht weniger um den Inhalt als um ein Votum für oder gegen Regierungschef Renzi. Denn dieser hatte noch im Frühjahr, als das Reformpaket bereits verabschiedet wurde, wissen lassen, im Fall einer Niederlage zurücktreten zu wollen. Damals war er sich noch der mehrheitlichen Zustimmung gewiss. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Bei den Gemeinderatswahlen im Juni erlitt die Regierungspartei PD eine Schlappe. Auch deshalb, da der Partito Democratico (PD) zerstritten ist: Der linke Flügel ist nicht mehr mit der Reform einverstanden. Die euroskeptische Opposition punktet in den meisten Meinungsumfragen, die Ablehnung gegen die Verfassungsreform, d.h. gegen die Regierung Renzi, führt mit 52 bis 58 % Zustimmung. Doch ein Drittel der Wähler weiß noch nicht, ob es für oder gegen die Reform stimmen wird. Ausschlaggebend für die Entscheidung könnte das neue Wahlgesetz “Italicum” sein, das ursprünglich an die Verfassungsreform gekoppelt war, über welches nun aber auf Wunsch der Opposition verhandelt wird.Sollten beim Referendum die Reformgegner überwiegen, ist eine allgemeine Neuwahl nicht auszuschließen, auch wenn turnusmäßig erst im Frühjahr 2018 die Parlamentswahl fällig ist. Zwar hat Innenminister Angelino Alfano jüngst wissen lassen, dass die Regierung bei einer Niederlage nicht zurücktreten werde. Mag sein. Sicher ist, dass sie wesentlich geschwächt würde und damit u.a. die Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes gefährdet. Die dringend nötigen Reformen drohen gebremst zu werden. Ganz zu schweigen davon, dass die Finanzmärkte bei einer Niederlage Renzis prompt reagieren würden. Konsequenzen auf die bevorstehenden Kapitalerhöhungen bei den beiden Banken MPS und Unicredit sind nicht auszuschließen. Bereits jetzt zeigen sich internationale Investoren in Italien zurückhaltend. Sie befürchten “griechische Zustände”, sollte Italien keinen Mut zu Reformen zeigen. Sorgen, dass Italien neuerlich in eine Krise stürzen könnte, sind gerechtfertigt. Die große Hoffnung liegt bei Finanzminister Padoan. Sollte Renzi bei einer Niederlage das Handtuch werfen, könnte der ehemalige OECD-Chefökonom als vorübergehender Premier die Märkte beruhigen.——–Von Thesy Kness-BastaroliIn der Kampagne vor Italiens Referendum über die Verfassungsreform geht es weniger um deren Inhalt als um ein Votum für oder gegen Regierungschef Renzi.——-