Notiert inMailand

Italiens Nachwuchsproblem

Italien hat ein gewaltiges Demografieproblem. Immer mehr Rentnern stehen immer weniger Erwerbstätige gegenüber. Ohne Einwanderung bricht das System bald zusammen.

Italiens Nachwuchsproblem

Notiert in Mailand

Italien gehen die Arbeitskräfte aus

Ohne Zuwanderung können bald die Renten nicht mehr finanziert werden.

Von Gerhard Bläske
bl Mailand

Unter den Teilnehmern der 75. Ausgabe des Songfestivals von Sanremo, das an diesem Dienstag startete, hat der Generationswechsel längst stattgefunden. Der Großteil der Teilnehmer ist unter 40. Die Realität in den Städten und Dörfern des Landes ist eine andere. Es fällt auf, wie wenig Kinder und Jugendliche zu sehen sind. In jedem Schuljahr nimmt die Zahl der Einschulungen um mehr als 100.000 ab.

Es gibt deutlich mehr Hunde als Kinder. Die wenigen Kleinen, die beim Sonntagnachmittagsspaziergang im Mailänder Sempione-Park zu sehen sind, stehen im Mittelpunkt der Familie aus Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten. Topmodisch gekleidet, wird ihnen jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Sie wissen um ihre Macht und fordern lautstark ein zweites oder drittes Eis. Und wenn sie älter sind, bleiben sie gern zu Hause. Mehr als 60% der Italiener unter 35 wohnen noch bei Mama und Papa. Mama kocht schließlich jeden Tag, wäscht und bügelt die Wäsche, und es gibt noch Taschengeld für abendliche Barbesuche.

Schwächste Geburtenquote Europas

Mit einer Geburtenquote von 1,2 Kindern pro Frau steht Italien in Europa ganz hinten. Die Zahl der Geburten ist 2024 unter den historischen Tiefststand von 379.880 des Vorjahres gefallen. Das sind 180.000 weniger als vor 20 Jahren. Die Entwicklung ist dramatisch. Nach Angaben des Statistikamtes Istat ist die Zahl der 15- bis 34-Jährigen in den letzten 20 Jahren um 2 Millionen auf 5,5 Millionen gesunken. Dagegen stieg die Zahl der 50- bis 64-Jährigen, die bald in Rente gehen, von 4,5 auf 9 Millionen. Die Zahl der Erwerbstätigen sinkt in den nächsten zehn Jahren um 2,5 Millionen. Gleichzeitig haben zwischen 2011 und 2023 etwa 550.000 junge Leute das Land verlassen. Angesichts niedriger Löhne und schlechter Karrierechancen sehen sie keine Zukunft in Italien.

Steuerliche Anreize, Kinder zu bekommen, gab es bisher kaum. Premierministerin Giorgia Meloni hat diverse familienpolitische Maßnahmen eingeführt, die das Kinderkriegen zumindest ökonomisch erleichtern sollen. Das reicht nicht – und wird kurzfristig wenig bringen.

Mehr Zuwanderung gefordert

Ökonomen wie Carlo Cottarelli fordern eine höhere Zuwanderung. Um die Renten finanzieren zu können, brauche es jährlich 200.000 bis 250.000 Einwanderer. Auch Emanuele Orsini, Chef des Industriellenverbands Confindustria, verlangt höhere Zuwanderungsquoten. De facto ist Meloni der Wirtschaft entgegengekommen und hat die Quoten für die legale Einwanderung deutlich erhöht. Landwirtschaft, Bauindustrie, Hotellerie und Gastronomie, das Transportwesen oder der Pflegesektor brauchen dringend Personal.

Verschärft worden ist die Lage durch großzügige Vorruhestandsregeln der Vergangenheit, die teilweise weiter gelten. Dabei ist die Lebenserwartung in Italien höher als anderswo. Sie soll weiter steigen: von 79,3 Jahren bei Männern und 84,3 Jahren bei Frauen auf 85,8 bzw. 89,2 im Jahr 2070. Wer soll sich um sie einst kümmern?

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