IWF sorgt sich nach Brexit-Votum um Irland

Abwärtsrisiken überwiegen - Steueroptimierungsdeals von US-Unternehmen verzerren Wirtschaftsdaten

IWF sorgt sich nach Brexit-Votum um Irland

hip London – Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat sich angesichts der möglichen Auswirkungen des britischen Votums für den EU-Austritt auf die irische Wirtschaft besorgt gezeigt. Das Land habe zwar außerordentliches Wachstum gezeigt, die Erholung nach der Krise sei jedoch unvollständig und nun erheblichen Risiken ausgesetzt, heißt es im Abschlussbericht zu den jährlichen Artikel-IV-Konsultationen. Sowohl die Beschäftigung als auch der private Konsum hätten das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht. Die hohe öffentliche und private Verschuldung sowie ein großer Bestand an faulen Krediten erhöhten die Verwundbarkeit. Die erhöhte Unsicherheit nach dem Brexit-Votum und der daraus resultierende “Spillover” gäben “Anlass zur Sorge”.Noch sei es jedoch zu früh, um das Ausmaß der negativen Folgen des Brexit abzuschätzen. Die künftigen Beziehungen zu Großbritannien und der Zugang der Briten zum gemeinsamen Markt seien dafür von entscheidender Bedeutung. Alles in allem überwögen die Abwärtsrisiken. Einer Ausarbeitung der Denkfabrik ESRI zufolge könnte der bilaterale Handel zwischen Großbritannien und Irland um ein Fünftel oder mehr zurückgehen. Großbritannien werde für ausländische Direktinvestitionen (FDI) wegen der Unsicherheit über den Zugang zum gemeinsamen Markt zwar weniger attraktiv. Der Blick auf die Standortwahl für neue FDI-Projekte in Europa im vergangenen Jahrzehnt brachte die Verfasser der Studie jedoch zu dem Schluss, dass Irland als FDI-Standort nur in geringem Maße profitieren könnte. 26,3 Prozent WachstumBeim IWF geht man davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum dieses Jahr auf etwa unter 5 % verlangsamen und sich vor dem Hintergrund eines geringeren Exportwachstums und niedrigeren Investitionen mittelfristig beim Potenzialwachstum von 3 % einpendeln wird.2015 hatte das Bruttoinlandsprodukt der Grünen Insel um mehr als ein Viertel zugelegt. Weil zahlreiche US-Unternehmen aus steuerlichen Gründen ihren Firmensitz durch Übernahmen nach Irland verlegten, wurde das Land auf dem Papier zur am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft der Welt. Das Medizintechnikunternehmen Medtronic verschaffte sich durch die Akquisition von Covidien einen attraktiveren Steuersitz. Die Flugzeugleasinggesellschaft Aercap Holdings hatte Anfang 2015 einen Großteil ihrer Assets von insgesamt 39 Mrd. Euro nach Irland verschoben. Apple verlagerte einen größeren Teil seiner geistigen Eigentumsrechte auf die Insel. Die irische Zentralbank hatte das nicht auf der Rechnung und warnte davor, dass das Wachstum durch den im Juli vom Statistikamt CSO von 7,8 auf 26,3 % revidierten Wert für 2015 verzerrt dargestellt werde. Zudem solle man nicht davon ausgehen, dass der durch sogenannte Tax Inversions und andere Steueroptimierungsaktivitäten bedingte Anstieg der Körperschaftssteuereinnahmen um die Hälfte wiederholbar sei. Gleichwohl wird Irland nun mehr in den EU-Haushalt einzahlen müssen.Die irische Zentralbank hatte diese Woche ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr bereits von 5,1 auf 4,9 % gesenkt. Für 2017 rechnet sie nur noch mit einem Plus von 3,6 % (zuvor: 4,2 %). Die Ökonomen der Central Bank of Ireland rechnen sowohl kurz- wie langfristig mit wesentlichen negativen Auswirkungen des Brexit-Votums.Der irische Premier Enda Kenny traf sich am Dienstag als erster Regierungschef eines EU-Landes mit seiner britischen Amtskollegin Theresa May in London – zu allen anderen Treffen war bislang May angereist. Beide Seiten sprachen sich dagegen aus, nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU wieder Schlagbäume zwischen Nordirland und der Republik Irland zu errichten. Moderne Technologien böten auch andere Möglichkeiten, den bilateralen Handel zu überwachen, sagte Kenny. Mit Kreativität und Vorstellungsgabe lasse sich die Rückkehr zu einer “harten” Grenze vermeiden. May sagte, die Außengrenzen der Common Travel Area, auch Klein-Schengen genannt, müssten gestärkt werden, etwa durch die gemeinsame Nutzung von Passagierdaten der Fährunternehmen und Fluggesellschaften. Die gemeinsame Reisezone ermöglicht bislang den weitgehend kontrollfreien Verkehr zwischen Großbritannien, Guernsey, der Insel Man, Irland und Jersey.