Jahrestagung

IWF warnt vor Spaltung der Weltwirtschaft nach Corona

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Prognose für das globale Wachstum in diesem Jahr nur geringfügig gesenkt. Dahinter verbergen sich aber große Revisionen für einzelne Länder.

IWF warnt vor Spaltung der Weltwirtschaft nach Corona

ms Frankfurt

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat noch einmal eindringlich vor der zunehmenden wirtschaftlichen Spaltung zwischen Industrieländern auf der einen Seite und Schwellen- und Entwicklungsländern auf der anderen Seite gewarnt – vor allem als Folge der enormen Unterschiede bei den Corona-Impfungen. IWF-Chefvolkswirtin Gita Gopinath sprach am Dienstag bei der Vorlage des neuen Weltwirtschaftsausblicks von einer „gefährlichen Divergenz“ und rechnete vor, dass eine noch länger anhaltende Pandemie das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den nächsten fünf Jahren um 5,3 Bill. Dollar reduzieren könnte. Vor dem Hintergrund forderte sie die Industrieländer auf, die bedürftigen Länder bei den Impfungen und auch in Sachen Liquidität zu unterstützen.

Sorge vor Schuldenkrise

Die Weltwirtschaft hat sich nach der Coronakrise schneller erholt als gedacht und auch schneller als nach der Weltfinanzkrise 2008/2009. Nach einem Rückgang des globalen BIP um 3,1% im vergangenen Jahr sagt der Fonds für dieses Jahr nun ein Plus von 5,9% voraus. Die Erholung vollzieht sich aber sehr uneinheitlich. Insbesondere die Industrieländer erleben einen kräftigen Aufschwung, während viele Schwellenländer und vor allem Entwicklungsländer hinterherhinken. Die Weltbank hatte diese Woche vor ei­ner neuen Schuldenkrise in den ärmsten Ländern infolge der Pandemie gewarnt. Es gibt auch Sorgen, dass das zu sozialen Unruhen und neuen Flüchtlingsströmen führen könnte.

„Die gefährliche Divergenz bei den Wirtschaftsaussichten der einzelnen Länder gibt weiter Anlass zu großer Sorge“, sagte IWF-Chefvolkswirtin Gopinath nun. „Die Aussichten für die Gruppe der einkommensschwachen Entwicklungsländer haben sich aufgrund der sich verschlechternden Pandemiedynamik erheblich verschlechtert“, fügte sie hinzu. Tatsächlich reduzierte der Fonds die Wachstumsprognose für diese Ländergruppe für das Jahr 2021 um 0,9 Prozentpunkte auf 3,0% (siehe Grafik), während er seine Prognose für die Weltwirtschaft nur um 0,1 Punkte auf jetzt 5,9% zurücknahm.

Es sind aber nicht nur die kurzfristigen Unterschiede bei den Wachstumsaussichten, die dem Fonds Sorgen bereiten, sondern auch die längerfristigen Implikationen. So geht der Fonds davon aus, dass die Indus­trieländer beim aggregierten Output bis 2022 wieder auf dem Trendpfad von vor der Coronakrise sein werden und diesen im Jahr 2024 um 0,9% übertreffen werden (siehe Grafik). Für die Gruppe der Schwellen- und Entwicklungsländer (ohne China) sagt er dagegen voraus, dass sie 2024 noch 5,5% unterhalb der Vorkrisen-Vorhersagen liegen werden.

Das führe „zu einem größeren Rückschlag bei der Verbesserung ihres Lebensstandards“, sagte Gopinath nun. IWF-Chefin Kristalina Georgiewa hatte bereits in der vergangenen Woche in ihrer traditionellen Curtain-Raiser-Rede vor der Jahrestagung gesagt, dass die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer „noch viele Jahre“ bräuchten, um sich zu erholen. „Diese verzögerte Erholung wird es noch schwieriger machen, langfristige wirtschaftliche Schäden zu vermeiden – auch durch Arbeitsplatzverluste, die junge Menschen, Frauen und informell Beschäftigte besonders hart treffen.“

Laut IWF sind diese Unterschiede eine Folge der „großen Kluft bei den Impfstoffen“ und der großen Unterschiede bei der politischen Unterstützung. Während laut Fonds fast 60% der Bevölkerung in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften vollständig geimpft sind und einige jetzt Auffrischungsimpfungen erhalten, sind et­wa 96% der Bevölkerung in Ländern mit niedrigem Einkommen noch nicht geimpft (siehe auch Grafik).

Gopinath warnte, dass das wiederum auch zum Problem für die gesamte Weltwirtschaft werden könnte. Sie verwies auf entsprechende Schätzungen des Fonds. Demnach könnte es das globale BIP in den nächsten fünf Jahren um insgesamt 5,3 Bill. Dollar im Vergleich zur aktuellen Prognose verringern, sollte sich Covid-19 länger halten, also auch mittelfristig. „Die Weltgemeinschaft muss ihre Anstrengungen verstärken, um einen gerechten Zugang zu Impfstoffen für alle Länder zu gewährleisten“, sagte Gopinath.

Sie untermauerte deshalb als „oberste politische Priorität“ Forderungen des Fonds, die Impfung von mindestens 40% der Bevölkerung in jedem Land bis Ende 2021 und 70% bis Mitte 2022 sicherzustellen. Das setze etwa voraus, dass die Länder mit hohem Einkommen ihre be­ste­henden Spendenzusagen für Impfstoffdosen erfüllten und Handelsbeschränkungen für den Fluss von Impfstoffen und ihren Vorprodukten aufhöben, so Gopinath.

Zudem bekräftigte sie Forderungen des Fonds, dass die führenden Industrieländer Teile ihrer zusätzlichen Mittel aus der jüngsten Aufstockung der sogenannten IWF-Sonderziehungsrechte in Höhe von umgerechnet 650 Mrd. Dollar freiwillig an Entwicklungsländer weiterreichen sollten. Das erhöhe den Spielraum dieser Länder, der Krise zu begegnen (vgl. BZ vom 20. August).

Weniger US-Wachstum

Für die Industrieländer ihrerseits senkte der Währungsfonds in seinem neuen Weltwirtschaftsausblick die Wachstumsprognose für 2021 eher geringfügig um 0,4 Prozentpunkte auf 5,2%. Für 2022 sagt er diesen Staaten 4,5% Wachstum voraus. Als großes Risiko für die Industriestaaten sieht der Fonds die anhaltenden Lieferengpässe weltweit – zumal diese die Inflation weiter antreiben, was die Notenbanken in Zugzwang bringe. Die Wachstumsprognose für die USA senkte der IWF für 2021 um 1 Prozentpunkt auf 6,0%. Für 2022 hob er sie aber etwas auf 5,2% an. Für Deutschland korrigierte der IWF seine Prognose für dieses Jahr um 0,5 Punkte nach unten: Das Bruttoinlandsprodukt soll 2021 um 3,1% wachsen. Für 2022 rechnet der IWF mit 4,6% . Die Prognose für die Eurozone hob der IWF für 2021 um 0,4 Punkte auf 5,0% an – teils getragen von stärkerem Wachstum in Italien und Frankreich.

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