DER TAG NACH DER BUNDESTAGSWAHL

"Jamaika" - Hoffnungswert oder Bremsklotz?

Ökonomen über die neue politische Konstellation

"Jamaika" - Hoffnungswert oder Bremsklotz?

lz Frankfurt – Die Aussicht auf eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen stößt bei Ökonomen auf zwiespältige Reaktionen. Zum einen wird angesichts der dringenden Positionierung Berlins in der Europapolitik eine langwierige Regierungsbildung beklagt und man erwartet zugleich anhaltende Unstimmigkeiten über den politischen Kurs der künftigen Koalition. Zum anderen wird Jamaika aber auch als Chance gesehen. Die pragmatischen Parteien könnten sich als Hort der politischen Stabilität präsentieren. Wenn eine Jamaika-Koalition gelingt, stünde Deutschland damit “im Gegensatz zu den Partisanenkämpfen, die in einigen anderen Ländern zu politischen Blockaden führen”, meint Deutsche-Bank-Chefvolkswirt David Folkerts-Landau.Dreierbündnisse sind nach Ansicht von Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, indes nicht nur schwierig zu bilden, sondern auch “nicht selten instabil”. An den Finanzmärkten könne es zur Furcht vor einem politisch nicht mehr ganz so stabilen Deutschland kommen. Auch für Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, ist eine Jamaika-Koalition “auf den ersten Blick nicht das beste Szenario für Wirtschaft und Finanzmärkte”. Sie bringe vor allem Unsicherheit – von der Wirtschaftspolitik bis hin zur Europapolitik.Dass sich die vier Parteien entgegen manchen selbst gezogenen “roten Linien” doch am Ende zusammenraufen können, davon gehen die meisten Ökonomen aus. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sieht letztlich den Hauptknackpunkt nur bei der Einwanderungspolitik, wo CSU und Grüne offenkundig “meilenweit auseinander” liegen.Für den Euro könnte eine Regierungsbeteiligung der Liberalen allerdings zu einer Belastungsprobe werden, befürchtet Ulrich Leuchtmann, ebenfalls von der Commerzbank: “Die FDP dürfte sich gegen die Vorschläge von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Richtung einer stärkeren fiskalischen Integration des Euroraums stemmen.” Manfred Hübner von Sentix geht davon aus, dass sich die Liberalen zudem gegen eine Fortsetzung der aktuellen Rettungspolitik in Stellung bringen werden. Er rechnet deshalb wieder mit einem Anstieg des von Sentix erstellten Euro-Break-up-Index. Auch Simon Ward von Janus Henderson Investors und VP-Bank-Ökonom Gitzel sprechen von einem “gewissen Konfliktpotenzial” bei der Europapolitik.Ricardo Garcia und Paula Patzelt von der UBS zeigen sich hingegen etwas optimistischer wegen der günstigeren Lage, in der sich die Eurozone befindet. Das Wachstum sei robust, die Staatsfinanzen hätten sich gefestigt. Das erweitere die politischen Spielräume. Vor diesem Hintergrund hält auch Stefan Kipar von der BayernLB die Differenzen zwischen FDP und Grünen für “nicht unüberbrückbar”. EU-Reformen in weiter FerneDie Skepsis aber überwiegt, wenn es um die Neugestaltung der EU insgesamt geht. Lucy O’Carroll, Chefvolkswirtin von Aberdeen Standard Investments erwartet nun keine substanziellen institutionellen Reformen mehr. Angela Merkel werde sich stärker der Innenpolitik zuwenden müssen. Und die sei schwierig genug angesichts der Rechtsverschiebung der deutschen Politik durch die AfD und die daraus entstehenden Folgebewegungen und Neupositionierungen durch die anderen Parteien. Das macht es nach ihrer Ansicht auch für EZB-Präsident Mario Draghi schwerer, die fiskalisch schwächeren Euro-Staaten noch länger so stark durch die Geldpolitik zu stützen.Und in den anderen Politikbereichen? Marcel Fratzscher hält eine “bessere Bildung und Qualifizierung, gezieltere Leistungen des Sozialstaats und eine stärker auf die Zukunft ausgerichtete Wirtschaftspolitik” für “die richtige Antwort auf das Erstarken des Populismus”. VP-Bank-Ökonom Gitzel sieht die Baustellen bei Pflege, Bildung, Wohnungsbau und innerer Sicherheit. Das brenne den Bürgern unter den Nägeln.