Japan droht Rückfall in die Deflation
Japans Kampf gegen die Deflation wird immer schwieriger. Nun wollen die großen Einzelhändler ihre Preise senken, nachdem ihre Umsätze und Gewinne gefallen sind.mf Tokio – Zu seinem Amtsantritt im April 2013 hatte der Gouverneur der Bank of Japan (BoJ), Haruhiko Kuroda, das Ende der “deflationären Mentalität” in Japan versprochen. Damit meinte er vor allem die langjährige Erfahrung der Firmen, dass sich höhere Preise kaum durchsetzen lassen. Daher sparten sie bei Ausgaben, Investitionen und Löhnen. Über drei Jahre später hat die BoJ mehr als ein Drittel der Staatsanleihen aufgekauft und den Leitzins unter null gedrückt. Doch in der Kernrate sanken die Preise im Mai um 0,4 % – so viel wie zu Beginn der extrem lockeren Geldpolitik.Vor allem ist der erhoffte Tugendkreislauf von steigenden Preisen, Löhnen und Investitionen nicht in Gang gekommen. Der Umsatz im Einzelhandel sank im Mai um 1,9 % zum Vorjahr. Zugleich ging der durchschnittliche Monatslohn um 0,2 % das erste Mal seit elf Monaten zurück. Grund war der Anstieg des Zeitarbeiter-Anteils unter den Erwerbstätigen auf über 30 %. Sie verdienen im Schnitt nur ein Viertel des Gehalts der Festangestellten. Im April waren die Löhne nur um 0,2 % gestiegen, obwohl dies der Monat für Gehaltserhöhungen ist. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind die Realeinkommen der Haushalte denn auch um fast 20 % geschrumpft. Laut der jährlichen Umfrage der Shinsei-Bank steigt das monatliche Taschengeld, das die Festangestellten von ihren Ehefrauen bekommen, in diesem Jahr zwar um 0,6 % auf 330 Euro, das ist aber der zweitschlechteste Wert seit 1981. Der Tiefpunkt wurde 2015 markiert. In Japan verwalten die Ehefrauen das Geld, das die Männer verdienen, und teilen ihnen ein monatliches Taschengeld für Mittagessen, den Kneipenbesuch und Hobbys zu.Die neue Zurückhaltung der Konsumenten spiegelt sich in schwachen Ergebnissen der Einzelhändler wider. Der umsatzstärkste Konzern Aeon meldete jetzt einen Quartalsverlust von 6,3 Mrd. Yen (57 Mill. Euro) – dies war das schlechteste Quartal seit acht Jahren. Seven & I Holdings, die Nummer 2, verfehlte mit einem Gewinn von 81,5 Mrd. Yen (734 Mill. Euro) und einem Minus von 0,5 % zum Vorjahr die Erwartungen deutlich. Bei den 11 000 Mini-Supermärkten der Kette Family Mart sanken die Einnahmen im Mai um 0,6 %, die Zahl der Kunden um 2 %. Zuvor hatte der größte Textil-Einzelhändler Fast Retailing mit seiner Flaggschiff-Marke Uniqlo im zweiten Quartal einen Rückgang des Betriebsgewinns um 60 % verzeichnet und die Gewinnprognose das zweite Mal in diesem Jahr gesenkt. Pro Filiale sank die Zahl der Kundenbesuche pro Geschäft in den sechs Monaten bis Februar 2016 um 6,3 %. Als Ursache nannte Konzerngründer Tadashi Yanai die Preiserhöhungen um 5 % im Jahr 2014 und 10 % im vergangenen Jahr.Daraus ziehen Aeon, Fast Retailing und andere Einzelhandelskonzerne die Lehre, dass sich Kunden nur mit niedrigen Preisen locken lassen. Uniqlo-Chef Yanai kündigte im Mai die “niedrigstmöglichen Preise” an. Auch Aeon versprach Preissenkungen. “Unsere Konsumenten werden noch wählerischer”, heißt es bei Seven & I Holdings. Viele Einzelhändler dürften daher ihre Einsparungen beim Einkauf von Importwaren als Folge des starken Yen schnell an ihre Endkunden weitergeben. Die Geldpolitik der BoJ wird damit immer mehr zur Gratwanderung. Angesichts der schwachen Lohn- und Preisentwicklung verliert sie mit ihrem Inflationsziel von 2 % immer mehr an Glaubwürdigkeit.