Japan will die Atomkraft wieder stärker nutzen
mf Tokio
Japans Regierung vollzieht einen Kurswechsel in der Nutzung der Atomkraft. Elfeinhalb Jahre nach der Katastrophe im AKW Fukushima Daiichi kündigte Premierminister Fumio Kishida an, Atomkraftwerke der nächsten Generation entwickeln und bauen zu wollen. „Nuklearenergie und Erneuerbare sind für eine grüne Transformation unerlässlich“, erklärte Kishida. „Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat die globale Energielandschaft erheblich verändert.“ Daher müsse Japan „potenzielle Krisenszenarien“ der Zukunft berücksichtigen. Im Ministerium für Wirtschaft, Industrie und Handel (METI) liegen bereits Pläne für neue Leichtwasserreaktoren, bei denen eine Kernschmelze nicht möglich ist, sowie für kleine modulare Atomanlagen in der Schublade, die ab den 2030er Jahren in Betrieb gehen könnten. An der Börse in Tokio zogen gestern die Aktien der Stromversorger kräftig an.
Mehr Neustarts geplant
Nach der Fukushima-Katastrophe im März 2011 hatte Japans Regierung auf den Bau neuer Meiler verzichtet und die Genehmigung für den Neustart von Atomkraftwerken der neu eingerichteten Atomaufsichtsbehörde NRA überlassen. Auch hier schwenkte Kishida nun um und rief dazu auf, bestehende, aber abgeschaltete Reaktoren wieder ans Netz zu nehmen. Bis zum Jahresende seien „konkrete Schlussfolgerungen“ nötig, erklärte der 65-Jährige. METI-Minister Koichi Hagiuda hatte bereits im Juli verlangt, bis zum Winter vier Reaktoren neu zu starten.
Darüber hinaus sollen laut der Wirtschaftszeitung „Nikkei“ ab Sommer 2023 sieben weitere Atommeiler hochfahren. Dadurch würde die Zahl der betriebsbereiten Atomkraftwerke seit dem Fukushima-Unfall auf 17 der 33 verbliebenen Reaktoren steigen. Laut dem „Nikkei“-Bericht erwägt die Regierung von Kishida auch, die Laufzeit der Reaktoren über 60 Jahre hinaus zu verlängern. Derzeit ist die Betriebsdauer auf 40 Jahre begrenzt und darf nur im Ausnahmefall auf 60 Jahre steigen.
Der Kurswechsel hängt auch damit zusammen, dass sich Japan im vergangenen Jahr nach langem Zögern dazu verpflichtet hat, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Dafür soll der Ausstoß an Treibhausgasen in einem ersten Schritt bis 2030 um 46% im Vergleich zum Jahr 2013 sinken. Der erzeugte Strom soll 2030 zu 36 bis 38% aus erneuerbaren Quellen stammen. Das ist ein doppelt so hoher Anteil wie vor der Pandemie. Die Atommeiler sollen dann 20 bis 22% des Stroms liefern. Dieses Ziel halten Experten jedoch für unrealistisch, denn dafür müssten 27 bis 30 Atomkraftwerke laufen. Derzeit sind aber nur fünf Meiler in Betrieb. Im vergangenen Jahr lieferte die Kernspaltung nur knapp 6% des Stroms.