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Japans Arbeitsmarkt durchzieht ein tiefer Riss

Von Martin Fritz, Tokio Börsen-Zeitung, 7.10.2016 Das schwierigste Problem für Japans Wirtschaftspolitik ist die tiefe Spaltung des Arbeitsmarktes in de facto unkündbare Festangestellte auf der einen sowie Teilzeitbeschäftigte und Zeitarbeiter auf...

Japans Arbeitsmarkt durchzieht ein tiefer Riss

Von Martin Fritz, TokioDas schwierigste Problem für Japans Wirtschaftspolitik ist die tiefe Spaltung des Arbeitsmarktes in de facto unkündbare Festangestellte auf der einen sowie Teilzeitbeschäftigte und Zeitarbeiter auf der anderen Seite. Die erste Gruppe macht noch etwas mehr als 60 % der Beschäftigten aus, während der Anteil der zweiten Gruppe von 15 % in den 1980er Jahren auf knapp 40 % gestiegen ist (s. Grafik). Die meisten Festangestellten verbringen ihr ganzes Arbeitsleben in einer Firma und sind durch Betriebsrenten, Boni und andere Beihilfen finanziell gut abgesichert. Dagegen wird das Heer der Zeitarbeiter zu mehr als der Hälfte auf Stundenbasis bezahlt. Diese “Irregulären” verdienen im Schnitt 36 % weniger als die Festangestellten (Fiskaljahr 2015). Die Lücke ist bei den unter 35-Jährigen und den über 60-Jährigen etwas kleiner. Darin spiegelt sich das Senioritätsprinzip wider: Die Löhne und Gehälter von Festangestellten steigen von einem niedrigen Niveau mit dem Alter kontinuierlich. Wer über das Rentenalter hinaus weiterarbeitet, nimmt einen hohen Gehaltsabschlag hin.Die Regierung von Shinzo Abe will diese tiefe Spaltung auf zwei Wegen überwinden: Zum einen soll es einen neuen, flexibleren Arbeitsstatus zwischen Festangestellten und Zeitarbeitern geben. Diese Verträge wären leichter kündbar. Aber die Idee ist früh stecken geblieben und wird derzeit nur noch halbherzig vorangetrieben. Unter anderem leisten die Gewerkschaften Widerstand. An ihnen war zuvor schon die Abschaffung von Überstundenzahlungen für höhere Angestellte gescheitert. Zum anderen will die Regierung das Prinzip “Gleiches Geld für gleiche Arbeit” durchsetzen. Das Versprechen hatte Abe Anfang 2016 ausgegeben und im Wahlkampf für die Parlamentswahl im Juli wiederholt. Nun wurden vor dem Beginn der Parlamentssitzung Ende September ein Expertenrat und ein Werbebüro für die “Verwirklichung der Arbeitsstil-Reform” eingesetzt. Lohnübertragungen geplantDer zentrale Gedanke dieser Reform besteht darin, einen kleinen Lohnanteil der Festangestellten auf die “irregulären” Beschäftigten zu übertragen. Dafür sollen die Festangestellten weniger Überstunden leisten, während die Irregulären teilweise höhere Stundenlöhne und teilweise finanzielle Extraleistungen wie Festangestellte erhalten. Für die Firmen wäre dies ein Nullsummenspiel: Was sie an Überstundenzahlungen einsparen, geben sie an ihre Zeitarbeiter und Teilzeitkräfte weiter. Die zwei Drittel der Irregulären, die stundenweise bezahlt werden, erhalten einen höheren Lohn. Das restliche Drittel soll wie Festangestellte Boni und Altersversorgung bekommen. Eine Anhebung der Stundenlöhne der Irregulären zum Beispiel um 10 % ließe sich nach einer Kalkulation von Credit Suisse durch eine Verringerung der Überstundenzahlungen um 50 % ausgleichen. Dies entspräche einem Lohnverlust der Festangestellten von 3,3 %.Die Regierung setzt darauf, dass vor allem jüngere Festangestellte weniger arbeiten wollen, aber wegen der strengen Arbeitsethik abends doch nicht früher nach Hause gehen. Eine Lohnreduktion um durchschnittlich Yen (116 Euro) würden diese Beschäftigten für eine bessere Work-Life-Balance akzeptieren, so die Hoffnung.Der genaue Ablauf der Reform liegt im Nebel. Selbstverpflichtungen der Arbeitgeber wären eine Lösung. Das neue PR-Büro soll die Werbetrommel für weniger Überstunden rühren. Zudem kann die Regierung über die Presseklubs die öffentliche Meinung leichter als in anderen Ländern steuern. Tatsächlich könnte Japan die Spaltung des Arbeitsmarktes auf diese Weise lindern. Die Lohnsumme bliebe zwar gleich, aber mehr Geld wanderte zu jenen, die bisher wenig konsumieren können.Hiromichi Shirakawa, Chefökonom von Credit Suisse Japan, befürchtet allerdings durch die Verkürzung der Arbeitszeiten einen Rückgang der Arbeitsleistung. Die Firmen müssten produktiver werden, ist Shirakawa überzeugt. Sonst würde der Anteil der Personalkosten an den Einnahmen steigen und der Gewinn sinken.Allerdings ändert die jetzige Strategie der Regierung nichts an der Spaltung der Beschäftigten in zwei Klassen. Das problematische Phänomen des typischen Festangestellten, Salariman genannt, der unter Vermeidung von Risiken und Innovationen seine Zeit bis zur Rente in seiner Firma absitzt, bleibt damit bestehen. So bleibt mehr als die Hälfte des Arbeitsmarktes so wenig flexibel und liquide wie bisher. Der Abbau von unproduktiven Sektoren und der Aufbau von wachstumsstärkeren Branchen wird dadurch gebremst.Die Entwicklung wird durch das Ausscheiden der Babyboomer-Generation (Jahrgänge 1947 bis 1949) aus dem Berufsleben noch verkompliziert. Die Zahl der Japaner im erwerbsfähigen Alter schrumpft, schon 27 % sind über 65 Jahre alt. Die Regierung will den demografischen Effekt durch die Beschäftigung von mehr Frauen und mehr Rentnern ausgleichen. Zusätzlich soll der vermehrte Einsatz von Robotern die Wirtschaftsleistung hochhalten. Aus dem Ausland will man nur einige Facharbeiter holen. Einwanderung bleibt ein Tabu in Japan. Unterm Strich dürfte die Arbeitsmarktreform unter Abenomics also eher bescheiden ausfallen.